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Deutschland bleibt bei “Nein heißt Nein”?

“Nein heißt Nein” – dieser Ausruf war in aller Munde, als der Bundestag die Regelungen zur sexualisierten Gewalt verschärfen wollte. Es geht noch weiter: Auf EU-Ebene soll nun das Strafrecht weiter verschärft werden. Und zwar hin zu “Ja ist Ja”. 

Diese Regelung gilt bereits in einigen europäischen Ländern (z. B. Spanien, Schweden) und bedeutet, dass eine Einvernehmlichkeit nur dann besteht, wenn ausdrücklich zur sexuellen Handlung eingewilligt wurde. 

Doch dieses Vorhaben behindert überraschenderweise nun ausgerechnet Deutschland. Warum das so ist und was darüber hinaus auch noch in der Richtlinie geregelt ist, zeigen wir in diesem Beitrag.

Das Wichtigste in Kürze

✅ Ein sexualisierter Übergriff liegt in Deutschland vor, wenn gegen den erkennbaren Willen des Opfers gehandelt wurde.
✅ In anderen EU-Ländern liegt ein sexueller Übergriff bereits bei fehlender Einvernehmlichkeit vor.
✅ Einen Regelungsentwurf zur Angleichung der Rechtslage lehnt nun unter anderem Deutschland ab. Das Argument: (vermeintlich) fehlende EU-Kompetenzen.
✅ Dadurch sind auch diverse andere Regelungen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in Gefahr.
✅ Kritiker werfen Justizminister Buschmann vor, mit seiner Ablehnung Frauen nicht ausreichend zu schützen.

Ja ist Ja, Nein heißt Nein – was bedeutet das alles überhaupt?

Wenn eine Person in Deutschland sexueller Gewalt ausgesetzt ist, dann gilt ab 2016 der § 177 StGB, welcher die sogenannte “Nein heißt Nein”- Regelung beinhaltet. Damit wird ist gemeint, dass ein sexueller Übergriff, eine sexuelle Nötigung oder auch eine Vergewaltigung dann vorliegt, wenn gegen den erkennbaren Willen des Opfers gehandelt wird.

Im Vergleich zur Vorgängerregelung, die in den 90er Jahren eingeführt wurde, muss also keine aktive Gewalt im Spiel sein, das Opfer muss sich also nicht körperlich gegen den Übergriff wehren. Konkret: Es reicht aus, wenn das Opfer zu verstehen gibt, dass es mit der vorgenommenen Handlung nicht einverstanden ist. Kurz: Nein heißt Nein. 

Wie war die Rechtslage vor 2016?

Vor der Änderung im Jahr 2016 wurden unter einer Vergewaltigung im Rechtssinne nur solche Handlungen verstanden, bei denen sich das Opfer aktiv gegen die übergriffige Handlung gewehrt hat. Hat das Opfer den Übergriff aus Angst oder Schock über sich ergehen lassen, lag keine Vergewaltigung im Sinne des § 177 StGB vor. 

Selbst wenn das Opfer ausdrücklich gesagt hat, dass es mit dem Übergriff nicht einverstanden ist, reichte dies nicht aus. Es gab eine Sonderregelung in § 177 III StGB, nach der im Ausnahmefall auch bei fehlender physischer Gegenwehr eine Vergewaltigung angenommen wurde, diese kam allerdings äußerst selten zur Anwendung. Diese Rechtslage ist mit dem neuen Sexualstrafrecht geändert worden.

Idealisiertes Opferverhalten ist problematisch

In der Thematik rund um sexuelle Übergriffe, Nötigungen und Vergewaltigungen stellt sich oft die Problematik des idealisierten Opferverhaltens. Hier unterstellt man dem Opfer, dass es auf einen sexuellen Übergriff eine bestimmte Reaktion zeigen muss. Insbesondere an der Regelung vor 2016 lässt sich eine solche Idealisierung erkennen. 

Darunter stellt man sich vor, dass eine Frau, die sexuell belästigt wird, anfängt laut um sich zu schlagen oder zu schreien etc. Ein solches Verhalten ist allerdings eher realitätsfern. Die meisten sexuellen Übergriffe geschehen innerhalb des sog. familiären Näheverhältnisses. Die Beteiligten kennen sich in der Regel. Das Opfer wird also viel wahrscheinlicher einfach versuchen, die Situation zu überstehen und sie nicht durch lautes Verhalten zu verschlimmern. 

Die Kritik an dieser Erwartungshaltung ist, dass die Opferreaktion quasi “vorgegeben” und insbesondere durch patriarchale Strukturen vordefiniert wird. Ziel der Reform war es also, das Strafrecht entsprechend anzupassen.

EU-Kommission will Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt erlassen 

Die EU-Kommission hatte bereits im März 2022 einen Entwurf für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vorgestellt. Nach dieser soll in allen EU-Mitgliedsstaaten ein einheitlicher Standard im Hinblick auf die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Vergewaltigung eingeführt werden. Demnach soll nun für alle der “Ja ist Ja”-Standard gelten. Nach diesem Standard liegt ein einvernehmliches sexuelles Verhältnis nur dann vor, wenn diesem von allen Seiten ausdrücklich zugestimmt wurde. 

Das bedeutet, ein sexueller Übergriff kann schon dann angenommen werden, wenn eine der Parteien, sich nicht eindeutig positiv zu der vorgenommenen sexuellen Handlung äußert. Dies ist bereits in einigen EU-Ländern wie Spanien oder Schweden der rechtliche Standard, in Deutschland allerdings bislang nicht. 

Deutschland stellt sich gegen die EU-Richtlinie

Ausgerechnet Deutschland, vertreten durch Bundesjustizminister Marco Buschmann, stellt sich nun speziell gegen diesen Teil der Richtlinie. Aber warum? Buschmanns Argumentation (so berichten übereinstimmend einige Presseportale) ist, dass die EU nicht die Kompetenz habe, solche Regelungen zu treffen. 

Welche Gesetzgebungskompetenz hat die EU? 

Von einer sog. Gesetzgebungskompetenz (mehr dazu in diesem Beitrag) spricht man, wenn der Bund oder die Bundesländer das Recht haben, für einen bestimmten Bereich Gesetze zu erlassen. Auf nationaler Ebene hat der Bund z. B. die Gesetzgebungskompetenz für das Staatsangehörigkeitsrecht. Es ist sinnvoll, dass es hier einheitliche Regelungen für alle Bürger:innen gibt und dies nicht jedes Bundesland einzeln regelt. Anders steht es, wenn es z. B. um das Thema Schule geht. Hier haben alle Bundesländer auch eigene Gesetze und können selbst gestalten. 

Als dritte Ebene gibt es dann noch EU-Gesetze. Da die Europäische Union (EU) aber nur eine sog. supranationale Organisation ist, kann sie nur solche Themenbereiche regeln, für die sie von den Mitgliedsstaaten die Kompetenz übertragen bekommen hat (Art 3 AEUV). Das betrifft z. B. Zollregelungen. 

Im Bezug auf das Strafrecht hat die Europäische Union nur die Gesetzgebungskompetenz für sog. EU-Straftaten (Art 83 AEUV). Das sind besonders schwere Straftaten, häufig mit grenzüberschreitendem Bezug. Darunter fällt u.a. auch die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Frauen. Nach der Argumentation des EU-Rates fällt die Vergewaltigung nicht darunter, denn dies wäre eine zu weite Interpretation des Tatbestandes. Dieser Ansicht schließt sich Buschmann wohl an: es fehle am Ausbeutungsaspekt

Würde die EU ein Gesetz erlassen, für das sie keine Kompetenz hätte, dann könnte dieses Gesetz vom EuGH für ungültig erklärt werden. Buschmann ist daher der Ansicht, dass die Richtlinie gar nicht erst erlassen werden sollte. 

Deutschland steht mit seiner Auffassung aber nicht alleine da, sondern gemeinsam mit Frankreich und vielen osteuropäischen EU-Ländern.

Kritik an Buschmanns Position

Es gibt aber auch andere Meinungen im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz der EU und das “Ja ist Ja”-Thema. So haben sowohl die EU-Kommission als auch das EU-Parlament zur Kompetenzfrage eigene Einschätzungen abgegeben, die zu dem Ergebnis kommen, dass eine Kompetenz für die EU durchaus vorliege. 

Auch aus der Öffentlichkeit regt sich großer Widerstand gegen Buschmanns Position. 100 einflussreiche Frauen haben vor 2 Tagen einen offenen Brief an Buschmann geschrieben, mit dem sie ihn auffordern, seine Position zu revidieren und sich dem verbesserten Schutz von Frauen nicht entgegenzustellen. 

Weitere Regelungen gegen sexualisierte Gewalt sind in Gefahr

Sollte das Zustandekommen der Richtlinie an der “Ja ist Ja”-Frage scheitern, bedeutet dies auch, dass diverse andere vorgesehene Regelungen aus der EU-Richtlinie nicht umgesetzt werden.

Insbesondere sieht die Regelung die Bestrafung von sexualisierter Gewalt im Cyberspace vor. Dabei geht es zum Beispiel um …

  • die nicht-einvernehmliche Weitergabe von intimem oder manipuliertem Material, 
  • Cyber-Mobbing und Cyber-Stalking, 
  • den ungefragten Erhalt von sexuell explizitem Material,
  • Cyber-Anstiftung zum Hass (Hatespeech).

In diesen Bereichen sollen die vorhandenen Vorschriften der einzelnen EU-Länder harmonisiert werden, sodass Frauen und Betroffene allgemein in der gesamten Europäischen Union gleichermaßen geschützt werden. Der Schutz von Frauen in der EU soll nicht davon abhängen, in welchem Mitgliedstaat sie leben.

Update 9. Februar 2024

Die Richtlinie wurde zwischenzeitlich von der EU beschlossen. Der strittige Punkt um die Vereinheitlichung des Vergewaltigungstatbestands hat es dabei nicht in die Richtlinie geschafft. Nichtsdestotrotz wurden nun viele wichtige Regelungen, auch erstmals zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Internet, erlassen. 

In Deutschland hat das Familienministerium angeregt, die hier geltenden Vorschriften und das Prinzip “Nein heißt Nein” zu evaluieren und insbesondere die Einhaltung der Istanbul-Konvention zu überprüfen. Diese Evaluierung soll in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium durchgeführt werden und noch in dieser Wahlperiode stattfinden. 

Mehr Infos zur Istanbul-Konvention haben wir euch in diesem Beitrag zusammengestellt.

Fazit

Die EU-Kommission hatte eine Richtlinie vorgestellt, in der gleiche Standards für sexuelle Übergriffe gegenüber Frauen eingeführt werden sollten. Gegen diesen Punkt der Richtlinie hat sich u.a. Deutschland ausgesprochen, mit dem Argument, dass es der EU an den Kompetenzen für eine solche Regelung fehle. Dies sehen die EU-Kommission und das EU-Parlament anders. 

Auch die Öffentlichkeit zeigt sich schockiert von der deutschen Position. 100 einflussreiche Frauen haben daher einen offenen Brief an Justizminister Buschmann geschrieben, mit der Bitte, dass dieser seine Einschätzung ändern solle. Wir bleiben für euch am Thema dran und beobachten die Entwicklungen.

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