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Beziehungstat oder Femizid?

Die Bundesregierung hat Zahlen veröffentlicht, nach denen fast jeden Tag ein (Ex-)Partner versucht, eine Frau umzubringen. Jeden 3. Tag stirbt eine Frau an der Gewalt durch einen (Ex-)Partner. Letzte Woche wurde eine Kassiererin einer großen Supermarktkette von ihrem Ex-Partner bei der Arbeit mit mehreren Schüssen getötet. Vor ein paar Tagen kam eine Schülerin durch den Angriff eines Klassenkameraden ums Leben, den sie bereits einmal angezeigt hatte.

In der Presse wird in diesem Zusammenhang oft von Beziehungstaten gesprochen. Diese Beschreibung verharmlost aber ein nicht zu unterschätzendes gesellschaftliches Problem: Gewalt gegen Frauen – aufgrund ihres Geschlechts. Die Frage lautet: Handelt es sich wirklich um eine Beziehungstat oder schon um ein Femizid?

Das Wichtigste in Kürze

✅ Die willentliche Tötung eines anderen Menschen kann einen Mord oder einen Totschlag darstellen.
✅ Je nachdem, ob und welche Mordmerkmale vorliegen, kann die beschuldigte Person mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft werden.
✅ Das Vorliegen eines solchen Mordmerkmals wird von den Gerichten in Bezug auf Partnerschaftsgewalt nur selten angenommen.
✅ Dieses Vorgehen wird seit Jahren kritisiert und könnte sogar einen Verstoß gegen die Istanbul-Konvention darstellen.

Tötung einer Kassiererin in Hessen

Am 17.01.2024 gab es schockierende Meldungen über einen Vorfall in einer bekannten Supermarktfiliale in Hessen: Ein Mann betritt abends die Filiale und geht den Pressemeldungen zufolge in Richtung des Kassenbereichs, wo er seine Ex-Freundin, die dort gerade als Kassiererin tätig ist, mit mehreren Schüssen tötet. Danach bringt er sich selbst um. 

Der Mann soll bereits früher gegenüber seiner Ex-Partnerin übergriffig gewesen sein. Das Opfer hatte aus diesem Grund bereits rechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet. Im Februar 2024 hätte er sich wegen eines Vorfalls vor Gericht verantworten müssen – doch dazu kam es nicht mehr.

Mord oder Totschlag?

Wird in Deutschland eine Person willentlich durch eine andere getötet, dann kann dies strafrechtlich verfolgt werden. In Betracht kommen dann meist die Tötungsdelikte Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB). 

Mord oder Totschlag – was ist der Unterschied?

Der Unterschied zwischen diesen beiden liegt in den Mordmerkmalen. Bringt man eine Person um, ohne die in § 211 StGB beschriebenen Merkmale zu verwirklichen, macht man sich in der Regel eines Totschlags nach § 212 StGB strafbar. Verwirklicht man bei der Tötung jedoch mindestens eines der Mordmerkmale, macht man sich in der Regel eines Mordes nach § 211 StGB strafbar. 

Der Unterschied zwischen diesen beiden liegt in den Mordmerkmalen. Bringt man eine Person um, ohne die in § 211 StGB beschriebenen Merkmale zu verwirklichen, macht man sich in der Regel eines Totschlags nach § 212 StGB strafbar. Verwirklicht man bei der Tötung jedoch mindestens eines der Mordmerkmale, macht man sich in der Regel eines Mordes nach § 211 StGB strafbar. 

Relevant wird dieser Unterschied vor allem in der sog. Strafzumessung. Also dann, wenn es um die Höhe der Strafe geht. Bei einem Totschlag beträgt die Strafe mindestens 5 Jahre Freiheitsstrafe, während bei einem Mord eine lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen ist. Die lebenslange Freiheitsstrafe ist im deutschen Strafsystem die Ausnahme. Sie ist zunächst einmal unbegrenzt, kann aber nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. 

Mordmerkmale einfach erklärt

Laut § 211 Absatz 2 StGB ist Mörder, wer

  • aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
  • heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
  • um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,

einen Menschen tötet.

Die Mordmerkmale aus § 211 StGB lassen sich in objektive und subjektive Mordmerkmale einteilen. Die objektiven Merkmale beziehen sich auf das “Wie“ der Tat. Also etwa: Ist die Tat besonders grausam? Wird sie mit gemeingefährlichen Mitteln (wie z. B. einem Sprengstoffgürtel) begangen?

Die subjektiven Merkmale geben Aufschluss über die “Warum” der Tat. Da geht es dann z. B. um die Habgier, wenn man also jemanden umbringt, weil man sich daraus finanzielle Vorteile erhofft. Oder um die Tötung aus Mordlust.

Wenn Mordmerkmale vorliegen, ist eine lebenslange Freiheitsstrafe möglich. Wenn nicht, kommt eine Strafbarkeit wegen Totschlags in Betracht. Im Fall der Kassiererin aus Hessen wird es allerdings nicht mehr zu einer Strafanzeige und damit zu einem Verfahren kommen, denn der Täter lebt nicht mehr. Ein Verfahren zu Lasten von Verstorbenen ist in Deutschland nicht möglich.

Niedrige Beweggründe bei Tötungen von Ex-Partner:innen

Wenn die Tötung von Ex-Partner:innen im Raum steht, ist in der rechtlichen Bewertung insbesondere das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe entscheidend. Dieses Mordmerkmal wird auch als Auffangtatbestand beschrieben. Wenn also keines der genannten Mordmerkmale (z. B. Habgier, Mordlust) gegeben ist, dann können niedrige Beweggründe vorliegen.

Was sind niedrige Beweggründe?

Unter den niedrigen Beweggründen versteht man alle, die nach allgemeiner rechtlich-sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verachtenswert sind (so der BGH).

Liegen niedrige Beweggründe vor, so handelt es sich bei der Tat grundsätzlich um einen Mord. Liegt dieses und auch keine anderen Merkmale vor, dann liegt in der Regel ein Totschlag vor. Dies muss allerdings immer im Einzelfall entschieden werden, pauschale Antworten sind hier wenig zielführend und können gefährliches Halbwissen darstellen.

Beispiele für niedrige Beweggründe sind z. B. Rassismus, Imponiergehabe oder Rachsucht. Im Rahmen von Tötungsdelikten bei Ex-Partnern ist die Bewertung, ob ein niedriger Beweggrund vorliegt, nicht ganz einfach und auch nicht ganz unumstritten. Der deutsche Juristinnenbund (djb) listet Motive auf, bei denen ein niedriger Beweggrund angenommen wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die beschuldigte Person …

  • vermeintliche Besitzrechte an einer Frau nicht aufgeben will
  • eine Frau keiner anderen Person gönnt
  • eine Frau bestrafen möchte (z. B. für eine Untreue)
  • eine Frau daran hindern will, ein Leben nach ihren Wünschen zu führen 

Wenn eine Person aus diesen Motiven handelt und der Frau somit das Lebensrecht ohne eine Beziehung mit ihm abspricht, wird ein niedriger Beweggrund angenommen. Tötet der Mann die Frau dann, kann von einem Mord ausgegangen werden.

Was in der aktuellen Rechtsprechung allerdings noch nicht als niedriger Beweggrund angesehen wird, ist laut dem djb:  “… wenn Gefühle der Verzweiflung und Enttäuschung, der inneren Ausweglosigkeit und des erlittenen vermeintlichen Unrechts bestimmend für die Tötung der (Ex-)Partnerin sind (…).”

Femizid: Oftmals geht es um die Frage der Macht 

Dabei nimmt die Rechtsprechung (z.B. BGH, Beschl. v. 07.05.2019 – 1 StR 150/19) auch z. B. dann keine niedrigen Beweggründe an, wenn sich die Frau trennt und der Mann sich einer “Sache” beraubt fühlt, die er nicht verlieren möchte. Bringt ein Mann seine Ex-Partnerin daraufhin um, verstecken sich hinter diesem Verlustgedanken oft Machtansprüche. 

Der Mann möchte alleiniger Bestimmer über die Frau sein, so sehr, dass er sie sogar umbringt, um die Macht über sie zu bewahren. Diese Überlegungen können bewusst oder unbewusst auftreten, sind aber häufig Ausdruck von patriarchalen Strukturen und Besitzansprüchen gegenüber einer Frau. 

Wenn also im Rahmen eines solchen Tötungsdelikts dann von einer “Beziehungstat” gesprochen wird, verharmlost dies die tatsächlichen Hintergründe einer solchen Tat.  Der Begriff Femizid beschreibt das Phänomen dieser Taten speziell gegen Frauen. Ein Femizid ist die Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. 

Bei Straftaten ist immer der Einzelfall zu betrachten. Angesichts der alarmierend hohen Zahlen bei häuslicher Gewalt – im Jahr 2022 waren mehr als 240.000 Personen betroffen – lohnt sich aber ein Blick auf die gesellschaftlichen Strukturen, in denen sich solche Taten ereignen.

Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen

Der djb argumentiert, dass die Einschätzung der Rechtsprechung, welche Besitzansprüche über Frauen nicht als niederen Beweggrund wahrnimmt, gegen die Istanbul-Konvention verstößt.

Was ist die Istanbul-Konvention?

Die Istanbul-Konvention ist ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Sie wurde am 11. Mai 2011 geschlossen und gilt seit 2018 in Deutschland. Im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Prävention und zum Schutz von betroffenen Frauen sind die Vertragsstaaten verpflichtet, auf verschiedenen Ebenen den Schutz von Frauen zu verstärken. Dazu gehört die Unterstützung von u.a. Frauenhäusern, aber auch die Erlassung von Gesetzen zum Schutz von Frauen. 

Wenn die Gerichte also annehmen, dass Verlustgefühle oder Eifersucht nach der Trennung durch das spätere Opfer nachvollziehbar sind, verstößt dies dem djb zufolge gegen die Istanbul Konvention. 

Fazit

Die Gewalt gegen Frauen ist ein Problem in Deutschland. Bundesfamilienministerin Lisa Paus bringt es wie folgt auf den Punkt: „Fast alle zwei Minuten wird in Deutschland ein Mensch Opfer von häuslicher Gewalt. Jede Stunde werden mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Expartner eine Frau zu töten.”

In den Medien wird hingegen oft von “Beziehungstaten” gesprochen, doch dieser Begriff verharmlost die tatsächliche Tragweite des Problems. Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich hierbei oft um Femizide handelt, also um die Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Die Tötung von Frauen durch (Ex-)Partner sollte nicht allein als persönliches Konfliktthema betrachtet werden, sondern auch als Ausdruck von Machtansprüchen, patriarchalen Strukturen und Besitzansprüchen gegenüber Frauen.

Die rechtliche Bewertung eines solchen Todesfalles hängt oft vom Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe ab. In der aktuellen Rechtsprechung werden Verlustgefühle oder Eifersucht nach einer Trennung teils als nachvollziehbar angesehen und daher nicht als niedrige Beweggründe betrachtet. Dies steht laut einigen Stimmen jedoch im Widerspruch zur Istanbul-Konvention, einem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, das in Deutschland gilt.

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