Der Fall „Sylt“ – Kündigung wegen Freizeitverhalten?

Das Verhalten einer Gruppe junger Frauen und Männer bei einer Party auf Sylt sorgte für großes Aufsehen. Ein junger Mann deutete in die Kamera einen Hitlergruß an, während die Menge einen rassistischen Text zum D’Agostino-Hit „L’Amour toujours“ sang: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.“

Über Geschmack lässt sich normalerweise streiten, doch nicht in diesem Fall. Das Verhalten: ein No-Go und beschämend, empfindet unser Autor Rechtsanwalt Daniel Mantel. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Die Presse veröffentlichte die Klarnamen und teilweise auch die Arbeitgeber:innen der betroffenen Personen. Deren Ermittlung war denkbar einfach, da die Arbeitgeber:innen auf dem LinkedIn-Profil der Personen angegeben waren. Der junge Mann arbeitete bei einer großen Kommunikationsagentur und die junge Frau bei einer bekannten Influencerin mit Migrationshintergrund.

Beiden wurde gekündigt. Doch waren die Kündigungen wirksam oder ein arbeitsrechtlicher Schnellschuss? Immerhin passierte das Ganze außerhalb der Arbeitszeit, also in der Freizeit.

Am Beispiel des Falls „Sylt“ klärt unser Autor in diesem Artikel darüber auf, wann eine Kündigung droht, wenn man sich in der Freizeit daneben benimmt.

Das Wichtigste in Kürze

✅ Grundsätzlich kannst du in deiner Freizeit tun und lassen, was du willst, ohne eine Kündigung zu fürchten.
✅ Ausnahmsweise kann dein Verhalten in der Freizeit doch zur Kündigung führen, nämlich dann, wenn es negative Auswirkungen auf das Unternehmen oder einen direkten Bezug zu deinem Job hat.
✅ Arbeitest du in einem Tendenzbetrieb, musst du auch in deiner Freiheit gesteigert darauf achten, nicht entgegen der Tendenz des Unternehmens zu handeln.

💡 Der Fall „Sylt“ lässt sich ohne weitere Informationen gar nicht so klar bewerten. Für die Wirksamkeit einer Kündigung kommt es darauf an, ob man dem Freizeitverhalten ein Bezug zum Arbeitsverhältnis beimisst bzw. aus dem Verhalten auf die Ungeeignetheit für den Job schließt. Im Ergebnis: Eine Sache der Argumentation und Wertungsentscheidung eines Gerichts.

🔍 Wichtig ist aber: Nicht alles, was moralisch verwerflich ist, rechtfertigt auch eine Kündigung.

Freizeit ist Freizeit und Arbeit ist Arbeit

Grundsätzlich kannst du in deiner Freizeit tun und lassen, was du willst, ohne eine Kündigung zu fürchten. Ob politisches Engagement oder geschmacklose Äußerungen. Dein Freizeitverhalten geht Arbeitgeber:innen grundsätzlich nichts an.

Der Betrieb ist keine moralische Anstalt. Hiervon gibt es aber Ausnahmen, die du kennen solltest.

Wann wird’s heikel?

Ausnahmsweise ist ein Freizeitverhalten von Bedeutung, nämlich dann, wenn es die Interessen deines Arbeitgebers oder deiner Arbeitgeberin beeinträchtigt.

Das ist der Fall, wenn dein Verhalten

  • negative Auswirkungen auf das Unternehmen oder
  • einen direkten Bezug zu deinem Job hat bzw. deine grundsätzliche Eignung für den Job infragestellt.

Im Arbeitsverhältnis besteht nämlich die Pflicht, auf die gegenseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen und den Vertragszweck auch außerhalb der Arbeitszeit zu schützen bzw. zu fördern (241 Abs. 2 BGB).

Wann ist ein Bezug zum Arbeitsverhältnis gegeben?

Entscheidend für die arbeitsrechtliche Beurteilung eines Freizeitverhaltens ist, ob ein Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht. Denn nur dann sind die Interessen von Arbeitgeber:innen betroffen.

Bezug zum Arbeitsverhältnis

Ein Bezug zum Arbeitsverhältnis kann zum Beispiel dadurch entstehen, dass

👉🏼 Arbeitgeber:innen oder andere Arbeitnehmer:innen staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sind oder in der Öffentlichkeit mit einer Straftat in Verbindung gebracht werden,

👉🏼 das Verhalten in direktem Widerspruch zur ausgeübten Tätigkeit steht oder

👉🏼 das Verhalten zum Verlust der Glaubwürdigkeit von Arbeitgebenden führen kann.

Bei der Bewertung, ob ein Bezug zum Arbeitsverhältnis vorliegt, kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an.

Die Gerichte bejahen regelmäßig einen Bezug zum Arbeitsverhältnis, wenn das Verhalten z. B. mit überlassenen Arbeitsmitteln zusammenhängt. Darunter fallen Situationen wie Internet-Betrug über den Dienst-Laptop, Drogen in der Nähe der Arbeitsstätte verkaufen, bei der Tat die Arbeitskleidung tragen oder unsittliche Äußerungen über ein Profil, das mit dem Arbeitsverhältnis verknüpft ist.

Außerdem können folgende Punkte für eine rechtliche Einordnung wichtig sein:

  • Der konkret ausgeübte Job
  • Die Schwere des Verhaltens
  • Die konkreten Auswirkungen des Verhaltens
  • Die Wertvorstellungen und Unternehmensethik in der Öffentlichkeit, wie eine klare Positionierung gegen Diskriminierung  
  • Wo und in welchem Umfeld erfolgte das kritische Verhalten? Bei einer privaten Geburtstagsfeier in den eigenen Vier-Wänden oder auf einer öffentlichen Veranstaltung?
  • Musste die Person damit rechnen, dass ihr Verhalten öffentlich und Arbeitgebenden bekannt wird?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem kürzlich entschiedenen Fall (2 AZR 17/23) wichtige Ausführungen zur Frage gemacht, wann man darauf vertrauen darf, dass privates Verhalten geheim bleibt. Äußert man sich in strafbarer oder herabwürdigender Weise in einer privaten Chatgruppe unter Mitarbeiter:innen, darf man laut BAG gerade nicht darauf vertrauen, dass diese Äußerungen vertraulich blieben. Man muss damit rechnen, dass, dies an Arbeitgebenden weitergetragen wird. Mehr dazu erfährst du in unserem Artikel „Lästern bleibt nicht ohne Konsequenzen“.

Verallgemeinernd bedeutet dies, dass du bei strafbaren oder herabwürdigenden Handlungen in der Regel damit rechnen musst, dass diese öffentlich bekannt werden und auch Arbeitgeber:innen es mitbekommen können.

Beispiele für einen Bezug zum Arbeitsverhältnis

Im Folgenden findest du ein paar Beispiele aus der Rechtsprechung dazu, ob ein Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht.

Antisemitischer Grundschullehrer

Das BAG hielt die Kündigung eines Grundschullehrers für wirksam, der in einem geheimen Netzwerk an der Verbreitung antisemitischer, den Holocaust massiv in Frage stellender und demokratiefeindlicher Inhalte mitwirkte.

Tötungsdelikt eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst

Begehen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes außerdienstlich ein vorsätzliches Tötungsdelikt, so ist nach Auffassung des BAG eine Weiterbeschäftigung unzumutbar. Ein konkret messbarer Ansehensverlust müsse nicht nachgewiesen werden.

Körperverletzung oder Sittlichkeitsdelikte

Bei einem Lehrer und einem Erzieher, die wegen Körperverletzung oder Sittlichkeitsdelikten verurteilt wurden, sah das BAG die Kündigung als wirksam an. Gleiches aber gilt nach Ansicht des BAG jedoch nicht für den vergleichbaren Fall bei einem Schulhausmeister oder einem Bauleiter. In den dortigen Fällen sah das BAG den Bezug zum Arbeitsverhältnis nicht als gegeben an.

Verfälschen von Lohnabrechnung zur Krediterlangung

Wenn Arbeitnehmer:innen ihre Lohnabrechnungen verfälschen, um Kreditgeber:innen zu täuschen, dann kann dies die persönliche Eignung für einen kaufmännischen Beruf infrage stellen, so das LAG Hamm.

Reichskriegsflagge in Mallorca-Disco 

Ein Arbeitnehmer zeigte auf Mallorca in einer Disco seine rechtsradikale Gesinnung und schwenkte eine Reichskriegsflagge. Die Medien berichten darüber, unter anderem mit Nennung des Namens des Arbeitgebers. Das LAG Niedersachsen sah die Kündigung jedoch als unwirksam an. Der Knackpunkt war, dass der Arbeitnehmer nicht damit rechnen musste, dass sein Verhalten öffentlich gemacht wird.

Partyvideo auf Sylt: Wie ist die Rechtslage?

Weil Freizeitverhalten – wie wir gerade gesehen haben – das Arbeitsverhältnis nicht direkt beeinflusst, ist der Fall „Sylt“ gar nicht so klar zu bewerten. Die Frage ist, ob zwischen dem Freizeitverhalten, dem rassistischen Gegröle und dem angedeuteten Hitlergruß, ein Bezug zum Arbeitsverhältnis herzustellen ist.

Hier ist es relevant, dass das Verhalten nicht im Privatbereich, sondern öffentlich auf einer Außenterrasse einer Bar erfolgte. Die Videoaufnahme erfolgte auch nicht heimlich. Der Hitlergruß stellt eine verbotene Geste dar, wobei sich bei dem medial bekannten Video die Frage stellt, ob der Hitlergruß nur lediglich angedeutet war. Die Gesänge erfüllen eventuell den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Image-Schaden für die Unternehmen?

Es stellt sich die Frage, ob das Verhalten zu einen vorwerfbaren Image-Schaden für die bekannten Unternehmen geführt hat. Hier steht man vor folgender schwierigen Gemengelage:

Durften die Personen davon ausgehen, dass ihr Verhalten privat bleibt und nicht an die Arbeitgeber:innen weitergetragen wird?

💡 Ich meine: Nein. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG zu der privaten WhatsApp-Chatgruppe kann meines Erachtens keine berechtigte Erwartung bestehen, das Verhalten werde privat bleiben.

Mussten die Person damit rechnen, dass ihr Verhalten in den Sozialen Medien aufgegriffen wird?

💡 Ich meine: Ja. In der heutigen medial vernetzten Zeit muss damit gerechnet werden, dass man in der Öffentlichkeit gefilmt wird und identifizierbar in den Sozialen Medien landet – erst recht, wenn Handyaufnahmen nicht heimlich erfolgen und man in die Kamera schaut und „winkt“.

Mussten die Person damit rechnen, dass ihr Verhalten mit den Arbeitgeber:innen in Bezug gebracht wird?

💡 Ich meine: Ja. Dadurch, dass sie auf ihrem öffentlichen LinkedIn Profil ihre Arbeitgeber:innen verknüpft haben, haben sie selbst eine Verknüpfung zwischen ihrer Person und der Arbeitgeberin hergestellt. Das ist meines Erachtens ein Unterschied zum „Reichskriegsflaggen-Fall“ des LAG Niedersachsen.

Andererseits: Mussten die Personen damit rechnen, dass sie von der Presse „zerpflückt“ werden und ihr Klarname sowie ihre Arbeitgeber:innen in Presse genannt werden?

💡 Hier meine ich jedoch: Nein. Wahrscheinlich war die Berichterstattung mit Klarnamen und unverpixelten Bildern rechtswidrig. Mit einer rechtswidrigen Berichterstattung muss man nicht rechnen.

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich erwähnen, dass ich auch die unzulässige Berichterstattung nicht gutheiße; ebenso wenig wie das ursprüngliche Verhalten. Durch die „mediale Hetzjagd“ werden diese jungen Personen sowie ihre Familien massiv in ihrer Lebensführung beeinträchtigt. Sie erhalten extreme Drohungen und Hass-Nachrichten. Auch ist ihre Privatanschrift bekannt und auch dort erfolgen Belästigungen. Womöglich werden diese jungen Menschen diesen Makel lange bzw. den Rest ihres Lebens mit sich tragen.

Klar ist aber auch: Durch die breite mediale Berichterstattung droht ein Image-Schaden der Unternehmen. Diese werden in der Presse mit den Taten in Verbindung gebracht. Für sie bestand also großer Zugzwang – die Kündigung als Form der „Schadensbegrenzung“?

Nun zur entscheidenden Frage: Ist die Kündigung unter diesen Umständen wirksam bzw. rechtfertigt das Interesse, sein Image zu retten, eine Kündigung? Diese Frage kann man meiner Ansicht nach ebenso gut bejahen wie verneinen.

Klar ist, dass die Arbeitgeber:innen durch die (unzulässige) Berichterstattung bekannt und mit dem Verhalten in Verbindung gebracht wurden. Der Image-Schaden ist also real. Andererseits sehe ich es aber auch nicht als unproblematisch, wenn Personen aufgrund einer etwaigen (rechtswidrigen) Namensnennung in der Berichterstattung „viral gehen“ und dies eine Kündigung rechtfertigen würde.

Es ist und bleibt eine Wertungsfrage, die im Zweifel Gerichte entscheiden müssen.

Mangelnde Eignung für den ausgeübten Job?

Des Weiteren kann überlegt werden, ob eine Person, die in der Öffentlichkeit einen Hitlergruß andeutet oder zeigt und rassistisch grölt, für einen Job im Kommunikationswesen geeignet ist. Ähnliches gilt für die Mitarbeiterin der Influencerin.

Für Influencer:innen dürfte das Image von erheblicher Bedeutung und ein wesentlicher Unternehmenswert sein. Schließlich sind Mitarbeiter:innen, die an der Kasse arbeiten und in ihrer Freizeit beispielsweise einen Diebstahl begehen, ungeeignet.

Man muss also die Frage beantworten, ob das Freizeitverhalten Rückschlüsse auf die Kommunikations- und Repräsentationsfähigkeit der Personen zulässt. Auch dies kann man mit guten Gründen bejahen, ebenso gut verneinen. Auch hier gilt: Eine Wertungsfrage, die im Zweifel Gerichte entscheiden müssen.

Es bleibt eine Sache der Argumentation

Die Wirksamkeit der Kündigung aufgrund des moralisch zweifelsfrei verwerflichen Verhaltens kann – je nach Argumentation – so oder so bewertet werden. Ich meine: Eine Kündigung ist vertretbar und ich würde den betroffenen Unternehmen auch dazu raten.

Besonderheit: Tendenzbetriebe

Besonders gesteigerte Nebenpflichten bestehen in einem sogenannten Tendenzbetrieb.

Was sind Tendenzbetriebe?  

Tendenzbetriebe sind Betriebe, die unmittelbar und überwiegend, politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen, künstlerischen Bestimmungen oder, Zwecken der Berichterstattung und Meinungsäußerung dienen.

Beispiele: Parteien oder Gewerkschaften, kirchliche Kindergärten oder Redaktionen bei Zeitungen.  

Arbeitest du in einem Tendenzbetrieb, gilt grundsätzlich auch das bisher Gesagte, jedoch in einer etwas verschärften Version. Du musst auch in deiner Freizeit verstärkt darauf achten, so zu handeln, dass dein Verhalten der Unternehmenspolitik nicht diametral entgegensteht.

Fazit

Auf ein Verhalten in deiner Freizeit kann eine Kündigung nicht ohne Weiteres gestützt werden. Erforderlich ist immer ein konkreter Bezug zum Arbeitsverhältnis. Auch ein moralisch verwerfliches Verhalten rechtfertigt nicht automatisch eine Kündigung. Erforderlich ist stets eine konkrete Prüfung für den Einzelfall.

Hast du in deiner Freizeit über die Stränge geschlagen und dein:e Arbeitgeber:in hat davon erfahren? Befürchtest du eine Kündigung oder hast du bereits eine erhalten? Wenn du Fragen hast, melde dich gerne bei mir. Ich helfe dir gerne weiter!

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