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Lästern bleibt nicht ohne Konsequenzen

In vermeintlichen Privatnachrichten oder Chatgruppen über die Kolleg:innen herziehen? Das kann rechtliche Konsequenzen haben. Beschimpfungen, die auf WhatsApp über die Vorgesetzten oder andere Arbeitskolleg:innen ausgetauscht werden, können zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen führen, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) kürzlich in Erfurt

Wann eine WhatsApp-Gruppe als privat gilt und ab wann diese Privatsphäre “aufgehoben” werden muss, haben die Richter:innen des BAG in ihrer Entscheidung deutlich gemacht.

Das Wichtigste in Kürze

✅ Chats sind in Internetgruppen (z. B. auf WhatsApp) grundsätzlich privat.
✅ Arbeitgeber dürfen Daten aus Chatgruppen ohne Arbeitsbezug nicht verarbeiten, also etwa für eine Kündigung heranziehen.
✅ Äußerungen in sehr großen Chatgruppen oder zutiefst beleidigende Inhalte sind davon ausgenommen und können zu Kündigungen führen.
✅ Das BAG-Urteil konkretisiert nun die Regeln für die Verwendbarkeit von Äußerungen im Internet.

Beschäftigte einer Fluggesellschaft lästern in privater WhatsApp-Gruppe über Vorgesetzte

In dem vor dem Bundesarbeitsgericht behandelten Fall ging es um Mitarbeiter:innen einer Fluggesellschaft, die in einer privaten WhatsApp-Gruppe über ihren Vorgesetzten hergezogen haben. Die Gruppe bestand zunächst aus 6 Kollegen:innen und wurde 2014 gegründet.

Die Mitglieder teilten in der Gruppe sowohl private als auch arbeitsbezogene Nachrichten. Nachdem ihr Arbeitgeber in den Jahren 2021/2022 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, sollten einige Mitglieder der Gruppe nach Berichten des ZDF zu einer Transfergesellschaft wechseln. 

Daraufhin kam es seitens der Arbeitnehmer:innen zu sexistischen, rassistischen und teils menschenverachtenden Beleidigungen über Vorgesetzte. Überdies gab es Aufrufe zu Gewalt. 

Bekannt wurden die Inhalte in der Gruppe, weil ein Mitglied sie einem anderen Kollegen zeigte. Dieser Kollege kopierte Teile des Chatverlaufs und gab sie an den Betriebsrat weiter, der sie dann an den Personalchef weiterleitete. Das Unternehmen sprach daraufhin allen Beteiligten außerordentliche Kündigungen aus. Die Echtheit der Inhalte bestätigte ein Mitglied der Gruppe schriftlich.

Chatgruppe mit Arbeitskolleg:innen: Privat ist nicht gleich privat

Wann aber ist eine Chatgruppe “privat”? Grundsätzlich greift die Weitergabe von Inhalten aus privaten Chatgruppen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein.

Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung geht es um das Recht des Einzelnen zu bestimmen, welche personenbezogenen Daten er von sich preisgeben möchte und wer sie verwenden darf. Hierbei handelt es sich um eine noch relativ junge Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das mittlerweile jedoch eigenständige Bedeutung hat.

Wenn jemand eine Nachricht in eine geschlossene Gruppe schreibt, dann gilt diesbezüglich das sogenannte Recht am eigenen Wort. Dies bedeutet, dass jedes Gruppenmitglied selbst bestimmen darf, wer seine Nachrichten lesen und weitergeben darf. Daher gilt: Ohne Einwilligung ist eine Weitergabe grundsätzlich nicht erlaubt. 

Wenn Nachrichten aus einer Gruppe dem Arbeitgeber zugespielt werden, darf dieser sie grundsätzlich nur dann verwerten, wenn sie im Sinne des § 32 I Satz 1 BDSG zur Begründung, Durchführung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses dienen. Wenn die Inhalte nicht verwendet werden dürfen, können sie auch nicht zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. 

Vorinstanzen sehen Kündigungen als rechtswidrig an

Ein Mitglied der Gruppe reichte gegen die außerordentliche Kündigung Klage beim Arbeitsgericht Hannover (Az. 10 Ca 147/21) ein – und bekam Recht. Das Gericht war der Ansicht, dass die Kommunikation in der Chatgruppe nicht zur Begründung der außerordentlichen Kündigung herangezogen werden kann. So sei die private Konversation sogar verfassungsrechtlich geschützt.

Auch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Az. 15 Sa 284/22) entschied zu Gunsten des Klägers. So überwiege der Schutz der Privatsphäre dem Schutz der Ehre des beleidigten Vorgesetzten. Dass es sich bei den Nachrichten nicht um Nachrichten im 1:1-Gespräch, sondern in einer Gruppe handelt, mache diese nicht weniger schützenswert. 

Zudem dürften die Mitglieder der Gruppe besonders auf die Privatsphäre vertrauen, da ein Freundschaftsverhältnis zwischen den Mitgliedern bestehe und die Gruppe bereits 2014 gegründet wurde. Zudem sei es keine dienstliche Gruppe gewesen, was das Vertrauen der Mitglieder auf die Privatsphäre auch nochmal verstärke.

Zulässiges Lästern über Vorgesetzte? BAG definiert Ausnahme

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen wurde vom beklagten Unternehmen im Wege der Revision angegangen und landete so vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). 

In seinem Urteil stellte das BAG fest, dass die Privatsphäre in einer Gruppe aufgehoben werden kann, wenn die Mitglieder der Gruppe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Nachrichten privat bleiben. 

Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn entweder die Gruppe besonders groß ist oder wenn die Nachrichten besonders explizit sind. Im vorliegenden Fall kam es insbesondere auf die rassistischen, sexistischen und Gewalt verherrlichenden Inhalte an. Wer solche Nachrichten schreibt, der kann sich laut dem BAG nicht zwingend darauf verlassen, dass diese auch privat bleiben. 

Anders gesagt, wenn man sich in einer Internetgruppe entgegen jeglicher Verhaltensnormen benimmt, andere Menschen beleidigt oder ihnen sogar Gewalt androht, dann kann man sich nicht darauf verlassen, dass diese Inhalte privat bleiben. 

Das BAG hat die Sache an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zurückverwiesen, welches nun entscheiden muss, ob im vorliegenden Fall ein entsprechendes Vertrauen auf die Privatsphäre der Gruppe vorgelegen hat oder nicht. 

Was bedeutet Zurückweisung?

Die Zurückverweisung ist ein Vorgang im Rahmen des Revisionsverfahrens. Soll gegen das Urteil einer 2. Instanz (Landgericht oder Oberlandesgericht) ein Rechtsmittel erhoben werden, so ist dies im Regelfall die Revision.

Das nächsthöhere Gericht (Bundesgericht) prüft dann das angegriffene Urteil. Hat die Revision Erfolg, so wird das Bundesgericht das Urteil an die Vorinstanz mit einem Hinweis zur Prüfung zurückverweisen.

Je nach Ausgang des Verfahrens wird sich entscheiden, ob der Arbeitgeber die Chatverläufe für die Begründung der außerordentlichen Kündigung nutzen durfte oder nicht. Wir bleiben an der Sache dran für euch.

Das BAG tanzt mit seinem Urteil aus der Reihe, was die bisherige Rechtsprechung anbelangt. Das Urteil ist daher durchaus eine Art Leitentscheidung im Umgang mit Chatgruppen. Während die Vorinstanzen an dem Grundsatz “privat ist privat” festgehalten haben, eröffnet das BAG nun auch den Eingriff in die Chatgruppen. 

Zusammenfassend kann daher gesagt sein: Für ein sozial inadäquates Verhalten gibt es auch im Internet keine versteckten Hinterzimmer. Wer beleidigende Aussagen trifft, muss auch damit klarkommen, wenn diese öffentlich werden. Es bleibt also bei der Devise: Erst denken, dann schreiben.

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