Seit November 2022 kennt die Welt den Namen ihres KI-Tools: ChatGPT. Was von der einen Seite verteufelt wird, bedeutet für die andere die Zukunft. Egal, wie man zu ChatGPT steht, es ist überall ein Thema.
Die Ereignisse innerhalb von OpenAI, dem Unternehmen hinter ChatGPT, standen bisher eher weniger im Rampenlicht. Was jedoch gerade in der Führungsspitze des Unternehmens passiert, könnte einen großen Einfluss auf die globale KI-Debatte haben. Es stehen sich zwei Seiten gegenüber: diejenigen, die KI altruistisch und gemeinnützig verwenden wollen und diejenigen, die großes wirtschaftliches Potenzial in KI sehen.
In diesem Beitrag geht’s um die Entlassung von Sam Altman und das Verhältnis zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsführung. Mehr dazu im Interview mit unserer Expertin Nathalie Brychcy, Rechtsanwältin im Gesellschaftsrecht.
Das Wichtigste in Kürze
✅ OpenAI ist ein Non-Profit-Unternehmen mit einer gewinnorientierten Tochterfirma. Sam Altman ist Mitgründer des Unternehmens.
✅ Altman wurde überraschend aus seinem Vorstandsposten entlassen. Hintergründe sind wohl interne Machtfragen.
✅ In Deutschland sind Aufsichtsrat und Vorstand grundsätzlich voneinander getrennt. Ein Vorstand kann entlassen werden, wenn es dafür einen wichtigen Grund gibt.
ChatGPT: Das Vorzeigeprodukt von OpenAI
OpenAI wurde im Jahr 2015 von einer Gruppe von KI- und IT-Expert:innen gegründet, darunter auch Sam Altman und Elon Musk. ChatGPT ist das wohl bekannteste Large Language Model (LLM) von OpenAI, aber nicht das einzige KI-Tool des Unternehmens.
Zunächst wurde OpenAI als Non-Profit-Unternehmen gegründet. Ziel sollte es sein, unabhängig von etwaigen Geldgeber:innen an der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz zu forschen. Im späteren Verlauf wurde dann aber doch eine gewinnorientierte Tochterfirma gegründet, die die kostspieligen Forschungen finanzieren sollte.
Turbulenzen in der Geschäftsführung von OpenAI?
In den letzten Wochen erregte OpenAI insbesondere mit Unstimmigkeiten in der Geschäftsführung Aufsehen. Zunächst überraschte das Unternehmen mit der Nachricht, Sam Altman sei entlassen worden.
Die Entlassung Altmans wurde durch das Board of Directors des Unternehmens veranlasst. Wir haben unsere Expertin Nathalie Brychcy, Rechtsanwältin im Gesellschaftsrecht, gebeten, uns einmal zu erklären, wie in Deutschland Geschäftsführungen und Aufsichtsräte miteinander wirken.
Nathalie, was ist zunächst der Unterschied zwischen einem deutschen Aufsichtsrat und dem amerikanischen Board of Directors?
“In Deutschland besteht eine Aktiengesellschaft aus zwei obersten Leitungsorganen, einem Vorstand und einem Aufsichtsrat. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft führt die Geschäfte in eigener Verantwortung. Während der Vorstand, wie die geschäftsführende Person bei einer GmbH, die Geschäfte des Unternehmens leitet, ist der Aufsichtsrat dafür da, den Vorstand zu überwachen und zu kontrollieren. Der Aufsichtsrat ist somit das Kontrollorgan der Aktiengesellschaft.
Sowohl das Board of Directors als auch der Vorstand und Aufsichtsrat bestehen in der Regel aus mehreren Mitgliedern. Während in Deutschland zwischen dem Vorstand einerseits und dem Aufsichtsrat andererseits unterschieden wird (sog. dualistisches System), gibt es im amerikanischen Gesellschaftsrecht nur ein oberstes Leitungsorgan, welches die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat in einem Organ vereint (sog. monistisches System).”
Kurz nach der Verkündung seiner Entlassung teilte Altman öffentlich mit, nun zum OpenAI-Investor Microsoft zu wechseln und dort die Abteilung für KI zu leiten. Nur wenige Tage später dann erneut eine Kehrtwende: Altman kehrt zu OpenAI zurück. Es sollen Veränderungen in der Geschäftsführung anstehen.
Personelle Überschneidungen
Laut dem Organigramm von OpenAI kontrolliert das Board of Directors das Non-Profit-Unternehmen, welches wiederum große Teile der Tochterfirma hält. Der Vorstand bei OpenAI bestand vor der Entlassung Altmans aus 3 Personen. Im Board of Directors sitzen 6 Personen – darunter auch solche, die aktiv im Vorstand vertreten sind.
Diese Verteilung der Plätze erscheint für Außenstehende zunächst etwas unglücklich. Nicht nur, dass sich der Vorstand selbst kontrollieren soll, auch kann es bei einer Abstimmung unter 6 Personen schnell zu einer Pattsituation kommen.
Nathalie, wie wird ein Aufsichtsrat besetzt? Ist es in Deutschland ebenso möglich, dass sich Vorstand und Aufsichtsrat “überschneiden”?
“Ein Aufsichtsrat ist bei Unternehmen, die dem Mitbestimmungsgesetz unterliegen, grundsätzlich paritätisch zu besetzen, d.h. zur Hälfte aus Arbeitnehmervertreter:innen und Aktionärsvertreter:innen.
Ein Aufsichtsrat besteht aus mindestens 3 und höchstens 21 Aufsichtsratsmitgliedern. Die konkrete Anzahl bestimmt sich zum einen durch die Regelung in der Satzung und zum anderen aus der Regelung im Gesetz. Zu den Aufgaben des Aufsichtsrats gehört es, u.a. stets über die geschäftlichen Entwicklungen des Unternehmens informiert zu sein und die Tätigkeiten, Entscheidungen und Berichte des Vorstandes zu hören und zu überprüfen.
Um auch in Deutschland ein monistisches System zu nutzen (wie im Falle von OpenAI in den USA), hilft die Rechtsform der deutschen Aktiengesellschaft oder auch die GmbH nicht weiter. Möchte man ein monistisches System für sich nutzen, dann gibt es in Deutschland jedoch die Möglichkeit der europäischen Rechtsform, der Societas Europea (SE). Bei der SE lässt sich zwischen dem monistischen und dualistischen System wählen.
Im monistischen System ist das oberste Organ der Verwaltungsrat. Der Verwaltungsrat vereint die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat und ist dem amerikanischen Modell nachempfunden. Der Verwaltungsrat wählt, wie auch im Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden. Bei der SE ist dies der geschäftsführende Direktor bzw. die geschäftsführende Direktorin.”
Im Falle von Sam Altman berichten Fachmedien, dass dieser von der Entlassung als CEO überrascht wurde und es keine offensichtlichen Gründe für die Entlassung gab. Es sollen interne Machtfragen im Hinblick auf die Ausrichtung des Unternehmens eine Rolle gespielt haben.
Wann kann ein Vorstand (vom Aufsichtsrat) entlassen werden?
“Während der Aufsichtsrat von der Hauptversammlung gewählt wird, wird der Vorstand vom Aufsichtsrat bestellt. Als Pendant zur Bestellung kann das Vorstandsmitglied vom Aufsichtsrats abberufen werden. Das Vorstandsmitglied kann vom Aufsichtsrat jedoch nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden, d.h. die Abberufung erfolgt außerordentlich bzw. fristlos.
Wichtiger Grund
Das Aktiengesetz definiert den wichtigen Grund nur sehr allgemein. Danach soll eine
✔️ grobe Pflichtverletzung,
✔️ die Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder
✔️ der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung
einen wichtigen Grund für eine Abberufung des Vorstandsmitglieds darstellen.
Wann eine solche grobe Pflichtverletzung oder eine Unfähigkeit zur Führung des Vorstandsamtes tatsächlich vorliegt, ist anhand des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat Fallgruppen entwickelt, die aus ihrer Sicht eine grobe Pflichtverletzung oder eine Unfähigkeit zur Führung des Vorstandsamtes darstellen.
Hierzu gehören unter anderem
- der dringende Verdacht einer Straftat,
- Untreue zu Lasten des Unternehmens,
- Bestechung bzw. Bestechlichkeit,
- die Missachtung von durch den Aufsichtsrat aufgestellten Zustimmungsvorbehalten,
- die fehlende Fachkenntnis oder
- das Fehlen erforderlicher öffentlich-rechtlicher höchstpersönlicher Genehmigungen.
Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschließend.”
Beschäftigte kündigen an, OpenAI zu verlassen
Nachdem die Nachricht über die Kündigung von Sam Altman ihre Runden in den sozialen Netzwerken machte, haben diverse Mitarbeiter:innen auf der Plattform X (ehemals Twitter)unter dem Satz: “OpenAI is nothing without its people” angekündigt, das Unternehmen ebenfalls verlassen zu wollen.
Nathalie, unter welchen Voraussetzungen ist eine solche außerordentliche Kündigung möglich?
“Nicht nur Arbeitgeber:innen können eine außerordentliche Kündigung aussprechen, wenn es dafür einen wichtigen Grund gibt, sondern grundsätzlich auch Arbeitnehmer:innen. Die außerordentliche Kündigung von Arbeitnehmer:innen ist der eher seltene Fall.
Eine außerordentliche Kündigung ist nur gerechtfertigt, wenn ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn Arbeitgeber:innen bzw. Arbeitnehmer:innen nicht mehr zugemutet werden kann, das Ende der Kündigungsfrist abzuwarten.. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist nach dem jeweiligen Einzelfall zu beurteilen.
Mögliche Pflichtverstöße
Als wichtiger Pflichtverstoß von Arbeitgeber:innen wird unter anderem angesehen:
💡 wiederholtes Nichtabführen von Sozialversicherungsbeträgen,
💡 wiederholt verspätete Lohnauszahlungen,
💡 sexuelle Belästigung oder
💡 wesentliche Arbeitsschutzverletzungen.
Ob das Verlassen des Unternehmens durch Sam Altman ein solcher wichtiger Grund wäre, lässt sich nicht mit Sicherheit bejahen und würde wahrscheinlich zu einem Fall vor den deutschen Arbeitsgerichten werden, insbesondere da nicht nur ein/e Arbeitnehmer:in, sondern gleich mehrere Arbeitnehmer:innen außerordentlich gekündigt haben.
Sollte Sam Altmann tatsächlich Verstöße begangen haben, die sich negativ auf die Arbeitnehmer:innen ausgewirkt haben, wie z. B. zu einer Gefährdung der Arbeitnehmer:innen geführt haben bzw. eine solche Gefährdung sich nicht ganz ausschließen lässt, dann sollte die außerordentliche Kündigung in der Regel wohl außerordentlich zulässig sein.
In der Regel erheben jedoch eher Arbeitnehmer:innen infolge einer Kündigung Klage bei den Arbeitsgerichten. Arbeitgeber:innen tun dies eher selten, denn welcher Arbeitgeber:in möchte jemanden weiterbeschäftigten, der eigentlich überhaupt nicht „hier“ sein möchte.”
Liebe Nathalie, vielen lieben Dank für deine Unterstützung!