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Commercial Courts: Deutsche Gerichtsverhandlungen auf Englisch?

Als Wirtschaftsstandort steht Deutschland meist gut da. Streitigkeiten fechten Unternehmen aber eher selten vor deutschen Gerichten aus. Hier schwächt die Bürokratie und das öffentliche Verhandeln die Attraktivität des Justizstandorts Deutschland. Interessanter sind für Unternehmer:innen daher die Schiedsgerichtsverfahren, die hinter verschlossenen Türen stattfinden. In diesem Beitrag geht’s um die Einführung von Commercial Courts und Commercial Chambers in Deutschland. 

Das Wichtigste in Kürze

✅ Vor Landgerichten sollen sogenannten Commercial Chambers eingeführt werden können, vor Oberlandesgerichten die sogenannten Commercial Courts.
✅ Die Verhandlungen vor den Kammern bzw. den Senaten sollen auf Englisch stattfinden.
✅ Die Revision zum BGH steht ohne Zulassung offen, ein Verfahren auf Englisch kann dann aber nicht mehr garantiert werden.
✅ Der Grundsatz der Öffentlichkeit soll zum Zwecke der Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt werden.

Einführung von Commercial Chambers und Commercial Courts

Um den sinkenden Verhandlungszahlen für Handelssachen vor den Kammern  entgegenzuwirken, sollen die Länder die Möglichkeit erhalten, an ihren Landgerichten sogenannte Commercial Chambers und an den Oberlandesgerichten Commercial Courts einzurichten. In den landgerichtlichen Kammern soll dann im Rahmen der Wirtschaftzivilsachen die Verhandlungssprache Englisch sein.

Der Rechtsweg zu den Commercial Courts an den Oberlandesgerichten ist erstinstanzlich dann eröffnet, wenn es sich um einen Streitwert von mindestens einer Million Euro handelt und die Parteien sich auf das Prozessieren vor dem Commercial Court geeinigt haben. Diese Voraussetzungen stellen sicher, dass es sich um Streitigkeiten von ausreichender wirtschaftlicher Bedeutung handelt, um den Rechtsweg zu spezialisierten Gerichten zu öffnen. Die Verhandlungssprache kann Deutsch oder Englisch sein. 

Die Sprachregelungen für die Verhandlungen in den Commercial Chambers und Commercial Courts werden durch die Einigung der Parteien festgelegt. Dabei soll die größtmögliche Flexibilität hergestellt werden. Das bedeutet, dass die Parteien zunächst eine Basissprache festlegen können und im Laufe des Verfahrens auf die jeweils andere Sprache ausweichen können. Falls Dritte in den Prozess einbezogen werden, z. B. durch eine Klageerweiterung, so sollen sie nicht durch die Verhandlungssprache benachteiligt sein. Deshalb ist ein:e Dolmetscher:in durch das Gericht zu stellen, wenn die Verhandlungssprache Englisch ist.

Länder erhalten neue Kompetenzen

Durch den Gesetzesentwurf werden den Bundesländern neue Kompetenzen zur Schaffung von Kammern bzw. Senaten gegeben.

Was ist mit Kompetenzen gemeint?

Die Gesetzgebungskompetenz bezeichnet das Recht, Gesetze erlassen zu dürfen. Im Bundesstaat Deutschland können Bund und Länder Gesetze erlassen, wobei nach der Verfassung die Länder grundsätzlich das Recht der Gesetzgebung haben. 

Die dem Gesetzentwurf angehängte Begründung verweist zudem darauf, dass die Länder auch untereinander in Form von Staatsverträgen kooperieren und somit Kompetenzzentren schaffen können. Den Ländern wird in diesem Zusammenhang ermöglicht, Zuständigkeiten eines Commercial Courts auch über Landesgrenzen hinweg festzulegen. Die Parteien können dann lediglich eine Vereinbarung über das Prozessieren vor dem Commercial Court treffen und müssen dabei keine örtlichen Absprachen mehr treffen. 

Rechtswege der neuen Kammern und Senate

Gegen erstinstanzliche Urteile der Commercial Courts soll der Rechtsweg zum BGH im Wege der Revision offenstehen. Dabei soll es anders als bisher keine Zulassungsvoraussetzung geben. Wendet man sich derzeit gegen ein Urteil, so müssen die Rechtsmittel (Berufung und Revision) zugelassen sein. Davon soll nun abgewichen werden, so dass ein Rechtsmittel auch ohne Zulassung des vorinstanzlichen Gerichts eingelegt werden kann.

Vor dem BGH soll dann auch in Englisch verhandelt werden können. Anders als bei den Land- bzw. Oberlandesgerichten muss der betreffende Senat zu einer Verhandlung auf Englisch aber zustimmen. Damit besteht für die Parteien durchaus das Risiko, in zweiter Instanz auf Deutsch verhandeln zu müssen. 

Mitlesbares Wortprotokoll und Geheimhaltung

Auch sonst kommt es im Gesetzesentwurf zu Neuerungen im Prozess. So wird es die Möglichkeit eines mitlesbaren Wortprotokolls geben. Dabei handelt es sich um ein Protokoll, welches synchron in der Verhandlung erstellt wird. Dies soll die Absprache mit außerhalb des Gerichtssaals stehenden Personen erleichtern. 

Auf die Führung eines mitlesbaren Wortprotokolls müssen sich die Parteien im Vorfeld einigen. Die Bundesregierung hat sich hier an Best Practices aus dem Schiedsverfahren orientiert und will diese Protokollvariante auch in den Verfahren der Commercial Courts anbieten. 

Geschäftsgeheimnisse werden besser geschützt

Zudem sieht der Entwurf vor, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann, wenn über Geschäftsgeheimnisse verhandelt wird. Auch ist es vorgesehen, Verfahrensgegner:innen verstärkt zur Diskretion über die erlangten Erkenntnisse zu verpflichten. Der im Zivilverfahren geltende Grundsatz der Öffentlichkeit ergibt sich aus dem im Grundgesetz geregelten Rechtsstaatsprinzip, wie auch aus Art. 6 EMRK.

Was ist das Rechtsstaatsprinzip?

Das Rechtsstaatsprinzip ist im Grundgesetz an vielen Stellen festgehalten und fordert von einer Demokratie, dass ihre Staatsgewalten sich an das geltende Recht halten. Es schützt in erster Linie Bürger:innen und ihre Freiheiten.

Dies findet unter anderem Ausdruck im sogenannten Vorbehalt des Gesetzes: Verwaltungsträger:innen müssen sich an geltende Gesetze halten und dürfen grundsätzlich nicht ohne eine Gesetzesgrundlage handeln.

Außerdem enthält das Rechtsstaatsprinzip die Garantie eines rechtlichen Gehörs vor unabhängigen Richter:innen, d.h. alle dürfen in Deutschland.

Gerade hier liegt aus Sicht der Unternehmen ein großer Nachteil des deutschen Zivilverfahrens. Verhandlungen vor Schiedsgerichten werden oft ohne Öffentlichkeit ausgetragen, so dass “hinter verschlossenen Türen” verhandelt werden kann. 

Gesetzesentwurf wird vorwiegend positiv aufgenommen

Der Gesetzesentwurf wird in den von Sachverständigen eingeholten Stellungnahmen begrüßt. So wird die Notwendigkeit für eine Öffnung der deutschen Gerichtsbarkeit hinsichtlich internationaler Handelssachen herausgestellt. Die Erweiterung der Vertraulichkeit auf die gesamte ZPO wird von Sachverständigen als positiv und zeitgemäß begrüßt.

Einzelne Kritikpunkte betreffen z. B. die Streitwertgrenze von einer Million Euro und die geforderte Einigung der Parteien auf eine Verhandlung vor einem Commercial Court. Hier wird der Vergleich nach Frankreich gezogen, wo es eine ausdrückliche Zuständigkeitsvereinbarung für Commercial Courts gibt. Auch wird angebracht, dass die geplante Revision ohne Zulassung keinen großen Mehrwert habe und sich nach den allgemeinen Regeln richten sollte.

Bezüglich der Verhandlung auf Englisch sehen Sachverständige eine Möglichkeit, den Justizstandort Deutschland zu stärken. Allerdings wird kritisch darauf hingewiesen, dass für eine solche Verhandlung ein entsprechendes Sprachniveau der Parteien, sowie der Richter:innen gegeben sein muss und Dokumente auch in englischer Sprache vorliegen müssen. Auch der etwaige Sprachenbruch vor dem BGH, vor dem im Zweifel dann wieder auf Deutsch verhandelt werden muss, wird kritisiert.

Fazit

Der Gesetzesentwurf birgt weitreichende Veränderungen in der deutschen Prozesslandschaft. Inwieweit die im Entwurf angelegten Veränderungen durch die Länder umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Allerdings birgt der Entwurf durchaus lange geforderte Veränderungen in der deutschen Justiz und könnte einen sinnvollen Ansatz für mehr Veränderung darstellen. Wir begleiten für euch die anstehenden Beratungen im Bundestag und berichten über Änderungen im Entwurf.

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