Quint Haidar Aly

Forscher & Sozialunternehmer

1999 geboren, in Hamburg.

2017 Jurastudium in München (ab 2021 wurde ein Lehramtsstudium daraus). Ebenfalls seit 2017: Refugee Law Clinics. Erst lokal, dann digital (Softwareprojekt), dann Bundesverband.

Seit 2021 als Vorstand. Während Covid noch einen Verein für sexuelle Aufklärung gegründet.

2022 mehrere Forschungsprojekte initiiert, gefördert bekommen und publiziert. Parallel in der digitalen Lehre gearbeitet und ein, zwei Stationen bei größeren Sozialunternehmen eingelegt (Teach First und Hamburg Leuchtfeuer).

2024 dann wieder gegründet: ACCICE. Gemeinnütziges Unternehmen im Bereich “Access to Justice”. Und: Seit 2024 darf ich mich “Ashoka Young Changemaker” nennen. Sagt in der Jura-Community nur den wenigsten etwas, ist im Impact-Sektor aber ein sehr wertvoller Door Opener.

Nebenbei freelance ich noch im Bereich Erwachsenenbildung. 

Interview

Wir stellen regelmäßig Legal Influencer und Vorbilder auf dem Rechtsmarkt in einem Interview vor. Damit wollen wir spannende Persönlichkeiten aus der Rechtsbranche sichtbar machen und einen Mehrwert für alle schaffen.

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Quint, wie kamst du zur Rechtsbranche und was sind deine Erfahrungen damit?

Von außen betrachtet, könnte man nach dem Wechsel vom Jura- ins Lehramtsstudium, den ich 2021 vollzogen habe, wohl eine Abkehr von der Rechtsbranche erwarten. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, der Wechsel hat mir nochmal ganz neue Zugänge zu Rechtsthemen eröffnet.

In der digitalen Lehre, wo ich nach dem Wechsel gearbeitet habe, geht es sehr viel um Design-Prinzipien und die Erziehungswissenschaft allgemein forscht vor allem evidenzbasiert. Beides hat mir im Jura-Studium komplett gefehlt. Dabei wird Recht besonders gut, wenn man es nach Design-Prinzipien gestaltet. Und es lässt sich erst vollständig erfassen, wenn man es auch empirisch beforscht.

Mit diesen neuen Methoden an der Hand, konnte ich plötzlich nicht mehr anders als überall nur noch Recht zu sehen: Wie wichtig das Recht ist, wie gut wir es mit unserer unabhängigen Justiz und Anwaltschaft haben – aber eben auch, wie viel wir noch besser machen müssen, damit unser Rechtsstaat wirklich bei allen ankommt. Und dann gab es irgendwann kein Zurück mehr.

Zwischen Fällen, Zukunftsvisionen und strukturellen Missständen habe ich meine Mission gefunden: All for Justice – Justice for all. Klingt ein bisschen pathetisch, aber das bringt es eigentlich auf den Punkt. Und wenn das deine Mission ist, kommst du an der Rechtsbranche halt nicht mehr vorbei …

Was machst du beruflich und warum hast du dich für diesen Weg entschieden?

Die eine Frage, vor der man als Sozialunternehmer am meisten Angst hat: “Was machst du eigentlich beruflich? Ne, also ganz konkret jetzt…”. Es gibt tatsächlich kein klassisches Berufsbild, dem ich mich ohne weiteres zuordnen würde.

Sozialunternehmertum ist irgendwie sui generis. Dafür kann ich sehr genau sagen, woran ich meinen beruflichen Erfolg messe: Möglichst vielen Menschen Teilhabe an unserem Rechtsstaat ermöglichen. Alles andere muss sich diesem Ziel unterordnen. Auch die Rollen, die ich beruflich einnehme. Wenn ich als Forscher gerade am meisten erreichen kann, forsche ich. Wenn es einen Project Lead braucht, mache ich Projektmanagement. Wird es Zeit für einen Policy Change, gehe ich auf Entscheidungsträger:innen zu. 

Allerdings gab es bei mir nicht diesen einen entscheidenden Zeitpunkt: “Quint, jetzt wirst du Sozialunternehmer”. Das hat sich einfach so entwickelt. Mir wurden Chancen eröffnet und ich habe sie ergriffen. Ein paar Gründungen, Projekte und Ämter später schaut man dann zurück und denkt sich: “Okay, dann bin ich jetzt wohl Sozialunternehmer”. 

Wie machst du deine Themen sichtbar? Wen oder was möchtest du damit erreichen?

Aktuell passiert das meiste tatsächlich im Hintergrund: Wir wollen den Neustart für die juristische Ausbildung endgültig auf die politische Agenda setzen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt braucht es dafür vor allem viele vertrauliche Gespräche.

Wenn ich gerade öffentlich kommuniziere, tue ich das vor allem über meinen persönlichen Account auf LinkedIn und, wann immer ich darf, auch in Gastbeiträgen und auf Fachevents. Das wird sich in den kommenden Monaten aber ändern. Wir sind überzeugt, dass wir in Deutschland eine neue Legal Culture brauchen, also anders mit und über Recht kommunizieren müssen. Also Gesamtgesellschaftlich.

Der Rechtsdiskurs in Deutschland ist nämlich extrem abgeschlossen, die Rechtswissenschaft bleibt am liebsten unter sich. Deswegen werden wir Stück für Stück neue Formate entwickeln und auf verschiedenen Plattformen an den Start bringen. Dabei wollen wir auch sowas wie das kritische Gewissen unseres Rechtsstaats werden:

Immer wieder unbequeme Rechtsrealitäten sichtbar machen und die Community pushen, damit wir gemeinsam das Beste aus unserem Rechtsstaat rausholen. 

Wenn du etwas an der Rechtsbranche verändern könntest, was wäre das? Was ist aus deiner Sicht dazu nötig?

Alles! Und zwar nicht, weil in unserem Rechtsstaat alles schlecht wäre. Im Gegenteil: Vieles funktioniert richtig gut. Das ist uns übrigens wichtig bei ACCICE, in der Analyse bleiben wir immer differenziert.

Aber es gibt eben schon genug Akteur:innen in unserem Rechtsstaat, die im Status Quo ansetzen und für Stabilität sorgen. Dafür braucht es uns nicht. Im Gegenzug gibt es viel zu wenig Kräfte, die den Status Quo herausfordern und unseren Rechtsstaat auch mal anders denken. Vielfältiger, interaktiver, zugänglicher. Zukunftsorientiert. Die Dinge anders zu machen, das ist der Beitrag, den wir leisten können.

Wir arbeiten an sogenannten “System Changes”. Im Ashoka Netzwerk, das uns bei der Gründung unterstützt hat, gibt es ein schönes Beispiel, welches deutlich macht, worum es uns beim System Change geht: Wenn Kinder im Unterricht nicht mitkommen, gibt es zwei Optionen. Erstens: Nachhilfe. Zweitens: Für einen Unterricht eintreten, der so gut und inklusiv ist, dass es gar keine Nachhilfe mehr braucht. In einem gesunden sozialen System sollten circa 95% der Kräfte im Status Quo arbeiten, also Nachhilfe anbieten.

Die Kinder haben jetzt Probleme und können nicht darauf warten, dass wir irgendwann einmal eine grundlegende Bildungsreform umgesetzt haben. Wenn aber niemand an der Bildungsreform arbeitet, werden wir auch das Grundproblem nie in den Griff bekommen und immer nur Symptome bekämpfen.

Deshalb sollten nach Ashoka-Logik die restlichen 5% der Kräfte daran arbeiten, das System grundlegend zu verändern. Wir sind diese 5% im Bereich Rechtsstaat. Eines der ersten Projekte im Ashoka Netzwerk war übrigens Wikipedia. Die waren auch mal die 5%. 

Gibt es etwas, worauf du dich in Zukunft besonders freust?

Den Launch von ACCICE. Bisher ist unser öffentliches Auftreten nur sehr bruchstückhaft und wir mobilisieren vor allem über informelle Netzwerke.

Eigentlich wollen wir aber offen für alle sein: Menschen, die sich engagieren wollen, Menschen, die mitgestalten wollen oder einfach Menschen, die Lust haben zu zu gemeinsamen Themen in den Austausch zu kommen.

Mit dem politischen Klima ab Sommer 2024 mussten wir unsere Jahresplanung aber auf den Kopf stellen und alles in das Thema juristische Ausbildung investieren, damit es bei den sich abzeichnenden Bundestagswahlen nicht komplett untergeht.

Im Gegenzug war aber alles on hold, was mit Inner Work zu tun hat, also auch Unternehmens- und Strukturaufbau. Jetzt haben wir langsam wieder Raum dafür und hoffen, ab Juli aus der “Soft Opening”-Phase endlich in stabile Rythmen und konsequente Außenkommunikation zu kommen. Denn alles, was wir mit ACCICE vorhaben, steht und fällt am Ende mit dem Collective Impact der Jura-Community.

Nur wenn sich genug Leute einbringen und gemeinsam für mehr Zugang zum Recht eintreten, werden wir die ganz großen Fragen angehen können. Wenn man aber gar nicht weiß, dass es ACCICE gibt und was wir gemeinsam vorhaben, kann man sich natürlich schlecht anschließen …

Vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast!