Du gehst einkaufen und plötzlich fehlt dir deine Geldbörse. Die Polizei rät: „Erstatten Sie Strafanzeige.“ Oder deine Nachbarin macht sich über dein Grundstück her und zerstört deinen Zaun – auch hier wird oft empfohlen, eine Anzeige zu stellen. Aber was passiert nach einer Strafanzeige? Was bedeutet es für dich als anzeigende Person und welche Folgen hat das für die beschuldigte Person?
Mit einer Strafanzeige werden Straftaten verfolgt und deine Rechte durchgesetzt. Doch viele fragen sich, ob ihre Anzeige überhaupt etwas bewirkt und welche Schritte danach konkret folgen. Hier erfährst du, wie ein Strafverfahren nach einer Anzeige abläuft, welche Rechte du währenddessen hast und was du sonst noch darüber wissen musst.
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Das Wichtigste in Kürze
✅ Eine Strafanzeige löst ein Ermittlungsverfahren aus: Sobald du eine Anzeige erstattest, prüfen die Behörden, ob ein Anfangsverdacht besteht. Liegt dieser vor, leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein, bei denen Beweise gesammelt und mögliche Verdächtige befragt werden.
✅ Nicht jede Strafanzeige führt zu einer Anklage: Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren einstellen, wenn die Beweise nicht ausreichen oder es sich um eine Bagatelle handelt. Alternativ kann ein Strafbefehl erlassen oder Anklage erhoben werden.
✅ Rechte der Beteiligten sind klar geregelt: Als anzeigende Person hast du Anspruch auf Auskunft über den Stand des Verfahrens und teilweise Akteneinsicht. Die beschuldigte Person profitiert von der Unschuldsvermutung und hat das Recht zu schweigen.
✅ Rechtsmittel schützen alle Beteiligten: Gegen Verfahrenseinstellungen, Strafbefehle oder Urteile können anzeigende und beschuldigte Personen Rechtsmittel wie Beschwerden, Einsprüche oder Berufungen einlegen, um die Entscheidungen überprüfen zu lassen.
Wer kann Anzeige erstatten?
Eine Strafanzeige ist eine Mitteilung an die zuständigen Behörden, dass eine Straftat begangen wurde. Sie kann mündlich, schriftlich oder online erfolgen und richtet sich in der Regel an die Polizei oder Staatsanwaltschaft. Der Zweck der Anzeige ist es, den Behörden einen Hinweis auf eine mögliche Straftat zu geben, damit sie ein Ermittlungsverfahren einleiten können (§ 158 Abs. 1 StPO).
Grundsätzlich darf jede Person eine Strafanzeige stellen – unabhängig vom Alter, von der Nationalität oder davon, ob man selbst betroffen ist. Auch Minderjährige können eine Anzeige erstatten, oft begleitet von ihren Eltern. Eine besondere Voraussetzung oder Begründung ist nicht erforderlich: Es genügt, den Verdacht einer Straftat zu äußern.
Unterschied zwischen Strafanzeige und Strafantrag
Eine Strafanzeige darf nicht mit einem Strafantrag verwechselt werden. Während die Strafanzeige lediglich den Verdacht einer Straftat meldet, ist der Strafantrag in bestimmten Fällen zwingend notwendig, damit ein Verfahren überhaupt durchgeführt werden kann. Das betrifft sogenannte Antragsdelikte wie Beleidigung (§ 185 StGB) oder Hausfriedensbruch (§ 123 StGB).
Ohne einen fristgerecht gestellten Strafantrag kann die Staatsanwaltschaft diese Taten nicht verfolgen. Mehr dazu erfährst du in unserem Beitrag: Strafanzeige oder Strafantrag – was ist der Unterschied?
Anzeige gegen Unbekannt
Wichtig: Du kannst auch eine Strafanzeige stellen, wenn du die beschuldigte Person nicht kennst. Die Behörden übernehmen dann die Aufgabe, Ermittlungen aufzunehmen und herauszufinden, wer hinter der Tat steckt.
Was passiert nach einer Strafanzeige?
Nach dem Einreichen der Anzeige prüfen die zuständigen Stellen, ob ein Anfangsverdacht vorliegt (§ 152 Abs. 2 StPO). Ist dies der Fall, leitet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein.
Aufnahme der Anzeige
Wenn du deine Anzeige erstattest, wird diese zunächst aufgenommen. Dies kann bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft geschehen. In der Regel schilderst du, was passiert ist, wer beteiligt war und welche Beweise es gibt (z. B. Fotos, Dokumente oder Zeug:innen). Die Beamt:innen protokollieren deine Angaben und leiten sie an die zuständige Stelle weiter.
Ermittlungsverfahren
Liegt ein Anfangsverdacht vor (§ 152 Abs. 2 StPO), eröffnet die zuständige Behörde ein Ermittlungsverfahren. Die Ermittlungen werden entweder von der Polizei unter der Aufsicht der Staatsanwaltschaft oder direkt von der Staatsanwaltschaft selbst durchgeführt (§ 160 StPO). In dieser Phase geht es darum, Beweise zu sichern und herauszufinden, ob tatsächlich eine Straftat vorliegt.
Die Behörden beginnen mit grundlegenden Maßnahmen, die je nach Art der Straftat unterschiedlich aussehen können:
- Beweissicherung: Sammeln von Spuren, Dokumenten oder anderen Beweismitteln.
- Vernehmungen: Befragung von Zeug:innen und der anzeigenden Person.
- Überwachung oder Durchsuchung: Bei schwereren Delikten kann es zu Wohnungsdurchsuchungen oder der Überwachung von Kommunikation kommen (§§ 102 ff. StPO).
Wenn eine verdächtige Person ermittelt wird, wird sie in der Regel informiert und kann sich zu den Vorwürfen äußern (§ 136 StPO). Hier greift das Recht auf Aussageverweigerung. Gleichzeitig gilt die Unschuldsvermutung – niemand wird aufgrund einer Anzeige automatisch verurteilt, sondern gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
Kann eine Anzeige zurückgezogen werden?
Eine Strafanzeige selbst kannst du nicht in jedem Fall einfach „zurückziehen“, da die Behörden nach ihrer Einleitung verpflichtet sind, von Amts wegen zu ermitteln. Allerdings kannst du bei Antragsdelikten (z. B. Beleidigung) deinen Strafantrag zurücknehmen (§ 77d StGB).
Erfahre mehr zum Thema Anzeige zurückziehen.
Was passiert nach einer Anzeige mit meinen Rechten und Pflichten?
Sobald eine Strafanzeige gestellt ist, kommen für alle Beteiligten bestimmte Rechte und Pflichten ins Spiel. Diese sind klar im Strafprozessrecht geregelt und dienen dazu, sowohl die anzeigende als auch die beschuldigte Person fair zu behandeln.
Rechte der anzeigenden Person
Wenn du eine Strafanzeige erstattest, hast du einige wichtige Rechte:
- Auskunft über den Stand des Verfahrens: Du kannst erfahren, ob und wie deine Anzeige bearbeitet wird (§ 406d StPO).
- Akteneinsicht: Als Opfer einer Straftat hast du in vielen Fällen das Recht, die Ermittlungsakten einzusehen (§ 406e StPO). Dies erfolgt meist über einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin.
- Anhörung: Im Verfahren kannst du als Zeuge oder Zeugin gehört werden und dabei auch Fragen stellen.
- Schutzrechte: Opfer von Gewalt oder Bedrohung können besonderen Schutz erhalten, z. B. durch Anonymität oder Zeugenschutzprogramme (§ 68 Abs. 1 StPO).
Rechte der beschuldigten Person
Die beschuldigte Person hat ebenfalls umfangreiche Rechte, die ihre Verteidigung sicherstellen sollen:
- Unschuldsvermutung: Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gelten alle als unschuldig (Art. 6 Abs. 2 EMRK).
- Aussageverweigerung: Niemand muss sich selbst belasten. Die beschuldigte Person darf schweigen und muss darauf hingewiesen werden (§ 136 Abs. 1 StPO).
- Recht auf Verteidigung: Der oder die Beschuldigte kann jederzeit anwaltliche Unterstützung hinzuziehen (§ 137 StPO).
- Akteneinsicht: Über Anwält:innen kann die beschuldigte Person die Ermittlungsakten einsehen, um sich zu verteidigen (§ 147 StPO).
Pflichten der Beteiligten
Neben ihren Rechten haben die Beteiligten auch Pflichten:
- Mitwirkungspflicht: Als Zeuge oder Zeugin bist du verpflichtet, wahrheitsgemäß auszusagen (§ 57 StPO). Ausnahmen gelten, wenn du dich selbst oder enge Angehörige belasten würdest (§ 55 StPO).
- Erreichbarkeit: Du musst erreichbar bleiben, wenn die Behörden dich als Zeuge oder Zeugin laden. Andernfalls droht ein Ordnungsgeld oder eine zwangsweise Vorführung (§§ 51, 70 StPO).
- Pflicht zur Verteidigung: Bei schweren Vorwürfen kann die beschuldigte Person verpflichtet sein, eine Pflichtverteidigung zu akzeptieren (§ 140 StPO).
Es kann in vielen Fällen sinnvoll sein, sowohl als anzeigende als auch als beschuldigte Person rechtlichen Beistand hinzuzuziehen. Anwält:innen im Strafrecht oder Strafverteidiger:innen helfen dir, die Rechtslage zu verstehen, deine Rechte durchzusetzen und rechtliche Fehler im Strafverfahren zu vermeiden. Mehr dazu erfährst du in unserem Beitrag zum Anwalt für Strafrecht.
Wie geht das Ermittlungsverfahren aus?
Nach Abschluss der Ermittlungen steht die Staatsanwaltschaft vor der Aufgabe, über den weiteren Verlauf des Verfahrens zu entscheiden. Hierbei prüft sie, ob die Beweise ausreichen, um Anklage zu erheben oder ob das Verfahren eingestellt wird.
Einstellung des Verfahrens
Eine häufige Entscheidung ist die Einstellung des Verfahrens. Dies kann aus verschiedenen Gründen geschehen:
- Kein hinreichender Tatverdacht (§ 170 Abs. 2 StPO): Wenn die Beweise nicht ausreichen, um eine Verurteilung wahrscheinlich zu machen, wird das Verfahren eingestellt.
- Geringfügigkeit (§ 153 StPO): Bei Bagatelldelikten wie einem kleineren Diebstahl kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen, insbesondere wenn der Beschuldigte die Tat zugibt.
- Einstellung gegen Auflagen (§ 153a StPO): Oft wird das Verfahren eingestellt, wenn die beschuldigte Person bestimmte Bedingungen erfüllt, z. B. eine Geldzahlung leistet oder Sozialstunden ableistet.
Erhebung der Anklage
Gibt es genug Beweise für eine Straftat, erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage (§ 170 Abs. 1 StPO). Die Anklageschrift wird an das zuständige Gericht geschickt, das prüft, ob es die Anklage zulässt und ein Hauptverfahren eröffnet (§ 199 StPO).
Kommt es dazu, entscheidet das Gericht in einem Strafprozess über die Schuld oder Unschuld der angeklagten Person.
- Ablauf: Im Hauptverfahren werden Beweise wie Zeugenaussagen, Urkunden oder Gutachten vorgelegt. Der oder die Angeklagte hat die Möglichkeit, sich zu verteidigen.
- Urteil: Am Ende fällt das Gericht ein Urteil, das eine Verurteilung, einen Freispruch oder auch eine Maßregel wie Therapie zur Folge haben kann.
Strafbefehl als Alternative zum Gerichtsprozess
Bei weniger schwerwiegenden Straftaten kann die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl beantragen (§§ 407 ff. StPO). Hierbei handelt es sich um eine Art „Urteil auf dem Papier“, das ohne Hauptverhandlung erlassen wird. Der oder die Beschuldigte kann dagegen Einspruch einlegen und so eine Gerichtsverhandlung erzwingen.
Diversion und außergerichtliche Einigung
In manchen Fällen, insbesondere bei jugendlichen Beschuldigten, wird das Verfahren durch Diversion abgeschlossen. Hierbei wird auf ein Strafverfahren verzichtet, wenn der oder die Beschuldigte z. B. an einem Anti-Gewalt-Training teilnimmt oder sich außergerichtlich mit dem Opfer einigt (§ 45 JGG).
Öffentliches Interesse
In aufsehenerregenden Fällen oder bei Straftaten, die öffentliches Interesse wecken, kann die Staatsanwaltschaft besonderes Gewicht auf die Ermittlungen legen. Das öffentliche Interesse ist wichtig für die Entscheidung, wie intensiv und schnell eine Strafanzeige bearbeitet wird.
Es beschreibt, dass ein Fall nicht nur für die direkt Betroffenen, sondern auch für die Allgemeinheit von Bedeutung ist. Dies ist oft bei Straftaten der Fall, die die Gesellschaft stark beschäftigen, wie etwa schwere Gewaltverbrechen, Wirtschaftsdelikte oder Fälle mit politischem oder sozialem Hintergrund.
Öffentliches Interesse wird vor allem dann angenommen, wenn
- die Tat eine große Anzahl von Menschen betrifft, z.B. Umweltvergehen oder Korruptionsfälle, die weite Teile der Bevölkerung betreffen können.
- die Tat von besonderer Schwere ist, z. B. Mord, Terrorismus oder Kindesmissbrauch erregen großes gesellschaftliches Aufsehen.
- eine prominente Person beteiligt ist, z. B. Fälle, in denen Prominente als Täter:innen oder Opfer auftreten, führen oft zu erheblicher medialer Berichterstattung.
- ein Beispiel für andere geschaffen werden soll, manchmal dient die Strafverfolgung auch dazu, abschreckende Wirkung auf andere Täter:innen zu erzielen.
Keine Entscheidung ohne Rechtsmittel
Egal, welche Entscheidung getroffen wird: Sowohl die anzeigende als auch die beschuldigte Person haben die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Bei Verfahrenseinstellungen kann die anzeigende Person die Einstellung überprüfen lassen (§ 172 StPO). Beschuldigte können gegen Strafbefehle oder Verurteilungen Berufung oder Revision einlegen.
Fazit
Eine Strafanzeige ist oft der erste Schritt, um eine Straftat aufzuklären und Gerechtigkeit zu erlangen. Doch was danach passiert, ist für viele unklar. Nach der Anzeige prüfen die Behörden sorgfältig, ob die vorgebrachten Beweise ausreichen, um ein Verfahren einzuleiten. Doch nicht jede Anzeige führt automatisch zu einer Verurteilung. Verfahren können eingestellt, durch einen Strafbefehl abgeschlossen oder vor Gericht weiterverfolgt werden. Für alle Beteiligten ist es wichtig, ihre Rechte zu kennen und sich bei Unsicherheiten rechtlich beraten zu lassen.