Die betriebsbedingte Kündigung sorgt in Verbindung mit der Sozialauswahl immer wieder für Unsicherheit – nicht nur bei Unternehmen, sondern vor allem bei den Betroffenen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wie sie viele Unternehmen zuletzt erlebt haben, kommt es häufig zu Stellenabbau: Automobilkonzerne verlagern Werke ins Ausland, Start-ups streichen Personal nach der nächsten Finanzierungsrunde, und sogar der Einzelhandel trennt sich aus Kostengründen von langjährigen Beschäftigten. Dabei stehen nicht nur Zahlen im Vordergrund – sondern Menschen, deren Lebensumstände und soziale Lage mitunter sehr verschieden sind. Wer muss gehen? Wer darf bleiben? Genau hier greift die Sozialauswahl – und mit ihr ein zentrales Prinzip des Kündigungsschutzes: Fairness. Erfahre mehr in diesem Artikel.
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Das Wichtigste in Kürze
✅ Bei einer betriebsbedingten Kündigung darf das Unternehmen nicht willkürlich entscheiden, wem gekündigt wird. Es muss eine Sozialauswahl durchgeführt werden, bei der die sozialen Umstände aller vergleichbaren Mitarbeiter in die Entscheidung einbezogen werden.
✅ Die wichtigsten Kriterien für die Sozialauswahl sind: das Alter des Beschäftigten, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, bestehende Unterhaltspflichten (z. B. Kinder oder Ehepartner:in) sowie das Vorliegen einer Schwerbehinderung. Arbeitgeber:innen sind verpflichtet, diese Punkte gegeneinander abzuwägen.
✅ Arbeitgeber:innen dürfen in Ausnahmefällen bestimmte Mitarbeiter aus der Sozialauswahl herausnehmen, wenn sie für das Unternehmen besonders wichtig oder unentbehrlich sind – zum Beispiel aufgrund von Spezialwissen oder besonderen Qualifikationen. Diese Ausnahme muss gut begründet und dokumentiert sein.
✅ Wenn du gekündigt wurdest, kannst du die Entscheidung überprüfen lassen. Dazu musst du innerhalb von 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Erfolgt die Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß, kann die Kündigung für unwirksam erklärt werden.
✅ Wurde eine Sozialauswahl gar nicht durchgeführt, wichtige Kriterien übersehen oder bestimmte Kolleg:innen zu Unrecht bevorzugt, lohnt sich eine rechtliche Prüfung. Selbst wer nicht im Betrieb bleiben möchte, kann durch eine Klage oft bessere Ergebnisse erzielen, etwa eine Abfindung oder mehr Verhandlungsmasse.
Betriebsbedingte Kündigung und Sozialauswahl: Was heißt das?
Die betriebsbedingte Kündigung gehört zu den häufigsten Kündigungsarten im Arbeitsrecht. Dabei trennen sich Arbeitgeber:innen nicht wegen eines Verhaltens oder mangelnder Leistung, sondern weil es betriebliche Gründe gibt, die eine Weiterbeschäftigung unmöglich machen. Diese Gründe können zum Beispiel wirtschaftliche Probleme, eine Umstrukturierung oder ein Stellenabbau sein. Damit eine solche Kündigung rechtlich zulässig ist, muss sie bestimmten Voraussetzungen entsprechen. Eine davon ist die sogenannte Sozialauswahl.
Bei der betriebsbedingten Kündigung wegen Sozialauswahl geht es darum zu prüfen, welche Mitarbeiter:innen im Vergleich zueinander sozial am wenigsten schutzbedürftig sind. Das bedeutet konkret: Wenn ein Unternehmen zum Beispiel 3 Sachbearbeitungsstellen abbauen muss, kann es nicht willkürlich entscheiden, wem gekündigt wird. Arbeitgeber:innen müssen schauen, wen eine Kündigung am wenigsten hart trifft – und wer besonders auf seinen Job angewiesen ist, soll möglichst verschont bleiben.
Worauf kommt es bei der Sozialauswahl an?
Geregelt ist die Sozialauswahl in § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Dort steht, dass der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin bei einer betriebsbedingten Kündigung soziale Gesichtspunkte berücksichtigen muss.
Die wichtigsten Kriterien bei der Sozialauswahl sind:
- Lebensalter: Älteren fällt es oft schwerer, einen neuen Job zu finden.
- Dauer der Betriebszugehörigkeit: Wer länger im Betrieb arbeitet, hat einen stärkeren Kündigungsschutz.
- Unterhaltspflichten: Wer Kinder oder einen Ehepartner finanziell unterstützt, hat ein höheres Schutzbedürfnis.
- Schwerbehinderung: Menschen mit einer anerkannten Behinderung werden besonders geschützt.
Arbeitgeber:innen müssen diese Punkte in einer Gesamtabwägung berücksichtigen. Das heißt: Sie können nicht einfach sagen, die jüngste Person muss gehen, nur weil er oder sie jung ist. Es geht immer um das Gesamtbild jeder einzelnen Person – und um den fairen Vergleich zwischen allen betroffenen Mitarbeiter:innen.
Ein konkretes Beispiel: 2 Mitarbeiter sollen entlassen werden. Der eine ist 25 Jahre alt, seit einem Jahr im Betrieb, hat keine Kinder und ist gesund. Die andere ist 45, seit 15 Jahren im Unternehmen, hat zwei Kinder und eine anerkannte Schwerbehinderung. In diesem Fall wäre die Kündigung der jüngeren Person vorrangig, weil sie sozial weniger schutzwürdig ist.
Herausnahmefähiger Personenkreis
Bei der Sozialauswahl geht es nicht um Leistung oder Qualifikation – es zählt nur die soziale Lage. Allerdings kann der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin bestimmte Personen aus der Auswahl herausnehmen, wenn sie für den Betrieb „unentbehrlich“ sind. Das nennt sich „herausnahmefähiger Personenkreis“. Diese Ausnahme ist aber eng begrenzt und muss gut begründet sein.
Wenn du eine betriebsbedingte Kündigung erhalten hast und vermutest, dass die Sozialauswahl nicht korrekt war, musst du das nicht einfach hinnehmen. Viele Kündigungen scheitern vor Gericht genau daran. Wenn der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin zum Beispiel gar keine Sozialauswahl durchgeführt hat oder bestimmte Kriterien gar nicht beachtet wurden, kann die Kündigung unwirksam sein – du behältst dann deinen Arbeitsplatz.
Dabei lohnt sich ein genauer Blick: Wurde dein Alter richtig angegeben? Wurden deine Kinder berücksichtigt? Wie sieht es mit deiner Betriebszugehörigkeit aus? Es kann auch sein, dass jemand anderes die schlechtere soziale Lage hatte und trotzdem bleiben durfte – das ist prüfbar und angreifbar.
Wenn du dir unsicher bist, solltest du dir juristische Unterstützung durch eine Anwältin oder einen Anwalt im Arbeitsrecht holen. Denn du hast ab dem Tag der Kündigung nur 3 Wochen Zeit, um eine Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG einzureichen. Danach ist es oft zu spät, selbst wenn die Kündigung falsch war. Deshalb: Prüfe genau, ob die Sozialauswahl korrekt durchgeführt wurde – denn davon hängt dein Arbeitsplatz ab.
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Betriebsbedingte Kündigung: Diese Fehler passieren oft bei der Sozialauswahl
Keine oder fehlerhafte Sozialauswahl
Ein häufiger Fehler bei der betriebsbedingten Kündigung ist die fehlerhafte oder komplett fehlende Sozialauswahl. Dabei ist diese Auswahl gesetzlich vorgeschrieben. Das bedeutet: Der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin darf nicht einfach irgendwen kündigen, wenn Stellen abgebaut werden. Er oder sie muss klare Kriterien beachten, bevor er entscheidet, wer gehen muss. Diese Regel findest du in § 1 Absatz 3 KSchG.
Das Gesetz sagt: Wenn mehrere vergleichbare Mitarbeiter:innen im Unternehmen arbeiten, muss geprüft werden, wer von ihnen sozial am wenigsten schutzwürdig ist. Der- oder diejenige “darf” dann eher gekündigt werden. Dabei schauen Arbeitgeber:innen auf Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung.
Wenn Arbeitgeber:innen diese Faktoren ignorieren oder falsch bewerten, ist das ein klarer Verstoß gegen die gesetzlich vorgeschriebene Sozialauswahl. Eine betriebsbedingte Kündigung kann in solchen Fällen vom Arbeitsgericht für unwirksam erklärt werden. Du kannst dich dagegen wehren und innerhalb von 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung eine Kündigungsschutzklage erheben.
Bevorzugung bestimmter Kollegen
Ein anderer häufiger Fehler: Der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin trifft eine scheinbar „soziale“ Auswahl, macht aber in Wirklichkeit wirtschaftlich motivierte Ausnahmen. In der Praxis bedeutet das oft: Jüngere, flexiblere oder technikaffinere Mitarbeiter:innen dürfen bleiben – auch wenn sie laut Sozialauswahl eigentlich weniger schutzwürdig wären als ältere oder langjährige Angestellte.
Das KSchG erlaubt zwar in Ausnahmefällen, einzelne Mitarbeiter:innen trotz schlechterer Sozialwerte zu behalten. Voraussetzung ist, dass ihr Verbleib aus betrieblichen Gründen notwendig ist. Das bedeutet: Das Unternehmen muss konkret erklären können, warum genau diese Person für den zukünftigen Betrieb unerlässlich ist. Ein bloßes Gefühl oder „weil er / sie besser reinpasst“ reicht nicht. Geregelt ist das in § 1 Absatz 3 Satz 2 KSchG.
Solche Ausnahmen müssen gut begründet und dokumentiert sein. Wenn dir gegenüber jüngere Kolleg:innen bevorzugt behandelt wurden und es für diese Ausnahme keine vernünftige Begründung gibt, kann das allein schon ausreichen, um die Kündigung angreifbar zu machen. Das Arbeitsgericht prüft dann, ob die Entscheidung fair war oder gegen das Gesetz verstößt.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Frage, wer alles tatsächlich in die Auswahl einbezogen wurde. Arbeitgeber:innen neigen dazu, Mitarbeiter:innen in Führungspositionen oder mit bestimmten Aufgaben einfach „herauszunehmen“, obwohl sie eigentlich vergleichbar wären. Auch das ist nicht immer erlaubt. Die Sozialauswahl muss alle vergleichbaren Beschäftigten einschließen – also alle, die im gleichen Betrieb in vergleichbarer Funktion tätig sind.
Wirst du also gekündigt und hast das Gefühl, dass jüngere oder neu eingestellte Kolleg:innen einfach „verschont“ wurden, lohnt sich ein genauer Blick. In vielen Fällen handelt es sich um eine fehlerhafte Sozialauswahl – und das macht eine betriebsbedingte Kündigung mit fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam.
Wie du dich gegen eine betriebsbedingte Kündigung mit Sozialauswahl wehren kannst
Du hast eine Kündigung bekommen und vermutest, dass bei der Sozialauswahl etwas schiefgelaufen ist? Dann solltest du schnell handeln. Denn eine Kündigung ist nur wirksam, wenn der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin bestimmte gesetzliche Vorgaben einhält. Dazu gehört auch die betriebsbedingte Kündigung mit Sozialauswahl. Ist die Auswahl fehlerhaft, kann das deine Kündigung unwirksam machen – du hast also gute Chancen, dich zu wehren.
Der erste und wichtigste Schritt: Reiche rechtzeitig eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht ein. Dafür hast du ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung meist nur drei Wochen Zeit. Diese Frist steht in § 4 KSchG. Verpasst du die Frist, wird die Kündigung automatisch wirksam – selbst wenn sie rechtswidrig war.
Die Klage lohnt sich besonders dann, wenn du glaubst, dass die Sozialauswahl nicht korrekt gelaufen ist. In der Regel gilt: Der Arbeitgeber bzw. die Arbeitberin muss bei einer betriebsbedingten Kündigung unter vergleichbaren Arbeitnehmer:innen diejenigen auswählen, die sozial am wenigsten schutzbedürftig sind. Das bedeutet, er oder sie muss sogenannte Sozialkriterien abwägen. Diese sind in § 1 Absatz 3 KSchG festgelegt: die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung.
Macht der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin hierbei Fehler – etwa weil Kolleg:innen mit kürzerer Betriebszugehörigkeit, jedoch ohne Kinder, bevorzugt werden – verstößt er oder sie gegen das Gesetz. Du kannst das vor Gericht anfechten. Wichtig ist dabei, dass du konkrete Anhaltspunkte lieferst, zum Beispiel mit Hilfe von Kolleg:innen, Betriebsrat oder internen Unterlagen.
So bereitest du dich vor
Hilfreich ist es, wenn du bereits im Vorfeld weißt, wer von der Kündigung betroffen ist und auf Basis welcher Daten die Auswahl stattgefunden hat. Hast du den Verdacht, dass bestimmte Kolleg:innen bevorzugt behandelt wurden, obwohl du schlechter gestellt wurdest, lohnt sich ein genauer Blick. Auch wenn du keine Kinder, aber eine nachgewiesene Behinderung hast oder deutlich älter bist, könnten das “Pluspunkte” bei der Sozialauswahl sein. Diese darf der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin nicht einfach ignorieren.
War bei dir ein Betriebsrat im Unternehmen vorhanden? Dann muss der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin ihn vor der Kündigung anhören. Der Betriebsrat hat das Recht, zur Sozialauswahl Stellung zu nehmen. Ist das nicht passiert oder wurde die Auswahl dem Betriebsrat unvollständig dargestellt, kann auch das ein Fehler sein.
Ausnahme: Ausgeschlossene Sozialauswahl
In bestimmten Fällen kann die Sozialauswahl sogar ganz entfallen. Zum Beispiel, wenn sogenannte Leistungsträger:innen ausgenommen werden, weil sie für den Betrieb unentbehrlich sind. Aber Vorsicht: Arbeitgeber:innen dürfen diese Ausnahme nicht beliebig nutzen. Sie müssen genau begründen, warum eine Person aus der Auswahl herausgenommen wurde. Diese Ausnahmen nennt man „ausgeschlossene Sozialauswahl“ – sie sind nur in engen Grenzen zulässig. Auch hier lohnt sich gegebenenfalls eine Prüfung durch das Arbeitsgericht.
Wenn du dir unsicher bist oder die Kündigung nicht verstehst: Hol dir rechtlichen Beistand. Fachanwält:innen für Arbeitsrecht oder Gewerkschaften helfen dir bei der Einschätzung, ob du eine gute Chance auf eine erfolgreiche Klage hast. Auch Beratungsstellen für Arbeitnehmer:innen oder öffentliche Stellen können erste Anlaufpunkte sein.
Wenn du gegen deine Kündigung vorgehen willst, bleibt dir nicht viel Zeit. Stelle sicher, dass du die 3-Wochen-Frist einhältst und dich gut vorbereitest. Fehler bei der betriebsbedingte Kündigung mit Sozialauswahl sind häufiger, als viele denken – und genau da liegt deine Chance.
Fazit
Die betriebsbedingte Kündigung ist rechtlich nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Sozialauswahl, bei der Arbeitgeber verpflichtet sind, soziale Gesichtspunkte wie Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung der betroffenen Mitarbeiter:innen zu berücksichtigen. Ziel ist es, die Arbeitnehmer:innen zu schützen, die am stärksten von einer Kündigung betroffen wären. Fehler bei der Sozialauswahl können eine Kündigung unwirksam machen, wodurch betroffene Beschäftigte die Möglichkeit haben, per Kündigungsschutzklage dagegen vorzugehen.