iPhone, App Store, Apple Pay – für viele gehören diese Dienste zum Alltag. Was aber kaum jemand weiß: Hinter der glänzenden Oberfläche des „Apple-Ökosystems“ tobt ein juristischer Kampf um Macht und Marktordnung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt entschieden: Apple hat eine “überragende marktübergreifende Bedeutung” für den Wettbewerb – und damit den Weg für strenge Eingriffe durch das Bundeskartellamt freigemacht (Beschluss vom 18. März 2025, Az. KVB 61/23).
Was steckt dahinter? Das Bundeskartellamt hatte Apple schon 2023 offiziell in diese neue Kategorie eingeordnet – auf Grundlage von § 19a Abs. 1 GWB. Der Konzern wehrte sich dagegen, doch der BGH hat Apples Beschwerde nun endgültig abgewiesen. Damit ist klar: Apple steht in Deutschland unter verschärfter wettbewerbsrechtlicher Beobachtung. Für Nutzer:innen und App-Entwickler:innen könnte das weitreichende Folgen haben – etwa mehr Freiheit, weniger Zwangsbindung an Apple-Dienste und bessere Marktchancen für kleine Anbieter.
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Das Wichtigste in Kürze
✅ Der BGH hat die Entscheidung des Bundeskartellamts bestätigt: Apple hat eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb. Damit gilt Apple offiziell als marktübergreifend bedeutendes Unternehmen nach § 19a Abs. 1 GWB – ein Status, der schärfere Eingriffe erlaubt.
✅ Apple betreibt mehrseitige Plattformmärkte in großem Umfang – allen voran den App Store. Der BGH sieht Apple als dominierenden Akteur auf Plattformmärkten, die verschiedene Nutzergruppen verbinden (App Store, iOS, Apple Pay und andere Dienste).
✅ Die Entscheidung erlaubt dem Bundeskartellamt weitergehende Maßnahmen. Dazu gehören mögliche Verbote gegen Selbstbevorzugung, Datenverknüpfung, Zwangs-Installationen oder Behinderungen Dritter. Das Amt kann jetzt gezielt eingreifen, bevor es zu konkreten Wettbewerbsverstößen kommt.
✅ Der Digital Markets Act der EU steht der Anwendung des § 19a GWB nicht entgegen. Auch wenn Apple auf EU-Ebene bereits als „Gatekeeper“ benannt ist, bleibt deutsches Wettbewerbsrecht anwendbar. Beide Regelungen ergänzen sich.
✅ Die Entscheidung ist ein Meilenstein im digitalen Wettbewerbsrecht und betrifft nicht nur Apple. Auch andere große Tech-Unternehmen wie Google, Amazon oder Meta könnten in Zukunft vergleichbar eingestuft werden.
Was bedeutet „überragende marktübergreifende Bedeutung“?
Was zunächst kompliziert klingt, ist eine zentrale Neuerung im deutschen Wettbewerbsrecht: Mit § 19a GWB hat der Gesetzgeber dem Bundeskartellamt ein scharfes Schwert an die Hand gegeben – speziell gegen die Macht großer Digitalkonzerne. Der Begriff „überragende marktübergreifende Bedeutung“ beschreibt Unternehmen, die nicht nur auf einem Markt stark sind, sondern durch Größe, Ressourcen und Vernetzung Märkte dominieren und ihre Macht ausdehnen können.
Der Hintergrund: Klassisches Kartellrecht greift oft zu spät. Es braucht konkrete Missbrauchsfälle, die erst mühsam nachgewiesen werden müssen. § 19a GWB funktioniert anders: Schon die schiere wirtschaftliche und strukturelle Macht reicht, um ein Unternehmen unter verschärfte Kontrolle zu stellen.
Voraussetzung ist, dass das Unternehmen “in erheblichem Umfang auf sogenannten mehrseitigen Märkten tätig ist” – das sind Plattformen, die verschiedene Nutzergruppen miteinander verbinden, etwa App-Stores, Online-Marktplätze oder soziale Netzwerke (§ 18 Abs. 3a GWB).
Das Gesetz nennt 5 Kriterien, die für diese Einstufung eine Rolle spielen:
- Marktbeherrschung auf einem oder mehreren Märkten
- Finanzkraft oder Zugang zu Ressourcen
- Vertikale Integration (z. B. Kontrolle von Hardware, Software und Vertrieb)
- Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten
- Bedeutung für den Zugang anderer Unternehmen zu Märkten
Es geht also nicht darum, ob Apple oder ein anderes Unternehmen gerade gegen Wettbewerbsregeln verstößt. Es reicht aus, dass die Möglichkeit dazu besteht – und dass dieser Einfluss eine abstrakte Bedrohung für den freien Wettbewerb darstellt. Die Idee dahinter: Missbrauch soll verhindert werden, bevor er entsteht.
Mit dieser Regelung geht Deutschland über das hinaus, was das klassische EU-Kartellrecht erlaubt. Der sogenannte „Digital Markets Act“ (DMA) der EU verfolgt zwar ein ähnliches Ziel, greift aber erst auf der Ebene konkreter Marktverhaltensregeln. § 19a GWB setzt früher an – und das mit gerichtlicher Rückendeckung.
Warum wurde Apple so eingestuft?
Apple gehört zu den wertvollsten und mächtigsten Konzernen der Welt. Das allein macht das Unternehmen noch nicht gefährlich für den Wettbewerb – aber die Art, wie Apple seine Angebote strukturiert, ist laut Bundeskartellamt und nun auch dem BGH ein Paradebeispiel für marktübergreifende Dominanz.
Im Mittelpunkt steht das sogenannte Apple-Ökosystem. Wer ein iPhone oder iPad nutzt, bewegt sich fast ausschließlich in Apples eigener Welt: Das Betriebssystem (iOS bzw. iPadOS), der App Store, Apple Pay, Apple Music, iCloud – alles stammt vom gleichen Anbieter. Diese Dienste sind technisch und wirtschaftlich eng verzahnt. Apple entscheidet, welche Apps zugelassen werden, wie sie präsentiert werden und wie die Bezahlung funktioniert. Für Entwickler:innen heißt das: Ohne Apples Zustimmung läuft nichts.
Der BGH stellt in seinem Beschluss klar: Apple ist in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig – wie dem App Store, wo Entwickler:innen auf die Plattform angewiesen sind, um ihre Apps an Nutzer:innen zu bringen. Allein im Jahr 2020 wurden über den App Store mehr als 30 Milliarden Downloads generiert, mit einem Gesamtumsatz von über 640 Milliarden US-Dollar. Apple selbst verdiente 2021 damit rund 15 Milliarden US-Dollar – allein durch Gebühren und Provisionen.
Hinzu kommt Apples strategische Ausgangslage:
- Über eine Milliarde iPhones sind weltweit im Umlauf
- Proprietäre Software ist fest mit der Hardware verbunden
- Andere Anbieter haben kaum Chancen, vergleichbare Zugänge zu Nutzer:innen zu bekommen
- Apple kann durch technische Gestaltung selbst bestimmen, wie offen oder geschlossen das System für andere bleibt
Auch beim Thema Daten sieht der BGH kritische Strukturen. Zwar gibt Apple an, keinen Zugriff auf bestimmte verschlüsselte Nutzerdaten zu haben. Trotzdem zeigt die Datenschutzrichtlinie des Unternehmens, dass Nutzer:innen oft zustimmen müssen, wenn sie bestimmte Dienste nutzen wollen. Angesichts der riesigen Nutzerbasis entsteht dadurch ein potenziell enormer Datenschatz – ein klarer Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Anbietern.
Klartext
Apple hat laut BGH die Ressourcen, den Marktzugang und die technische Kontrolle, um andere Marktteilnehmer systematisch zu benachteiligen oder vom Wettbewerb auszuschließen. Genau das ist der Kern von § 19a GWB – und der Grund, warum Apple in diese neue Kategorie fällt.
Was hat der BGH konkret entschieden?
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18. März 2025 (Az. KVB 61/23) ist deutlich: Apple bleibt ein Fall für § 19a GWB. Die Beschwerde des Konzerns gegen die Entscheidung des Bundeskartellamts wurde abgewiesen – und das in erster und letzter Instanz. Denn bei Entscheidungen nach § 19a GWB ist der BGH direkt zuständig (§ 73 Abs. 5 Nr. 1 GWB).
Kern der Entscheidung ist die Feststellung:
- Apple ist auf sogenannten mehrseitigen Märkten im Sinne des § 18 Abs. 3a GWB tätig – etwa mit dem App Store, iOS oder Apple Pay. Und das nicht nur ein bisschen: Der Umfang dieser Tätigkeiten ist erheblich.
- Mehrseitige Märkte verbinden verschiedene Nutzergruppen – zum Beispiel App-Entwickler:innen und Endnutzer:innen. Schon die Möglichkeit, diese Gruppen technisch zu verbinden oder zu beeinflussen, reicht aus, um unter die Regelung zu fallen.
Der BGH stellt klar: Für eine Feststellung nach § 19a Abs. 1 GWB braucht es keinen konkreten Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. Auch eine aktuelle Marktbeherrschung ist nicht zwingend. Entscheidend ist allein, dass das Unternehmen über strategische und wirtschaftliche Mittel verfügt, um den Wettbewerb potenziell zu verzerren. Das Ziel der Norm sei gerade, frühzeitig Gefahren entgegenzuwirken – und nicht erst zu reagieren, wenn der Schaden schon da ist.
Ein weiteres wichtiges Signal des BGH: Die Regelung des § 19a GWB steht nicht im Widerspruch zum europäischen Recht. Apple hatte argumentiert, dass es bereits durch die EU-Kommission als sogenannter „Gatekeeper“ nach dem Digital Markets Act (DMA) benannt wurde – und dass eine parallele nationale Regelung unzulässig sei. Der BGH widerspricht. Der DMA verbietet nationalen Behörden nur, zusätzliche Verhaltenspflichten aufzuerlegen, nicht aber eine statusbezogene Feststellung wie die nach § 19a Abs. 1 GWB. Auch verfassungsrechtliche Bedenken sieht der Senat nicht.
Was heißt das?
Das Bundeskartellamt darf Apple auch künftig besonders streng beobachten – und hat nun die Möglichkeit, in einem zweiten Schritt konkrete Maßnahmen nach § 19a Abs. 2 GWB zu erlassen, zum Beispiel gegen Selbstbevorzugung oder erzwungene Datenkopplung.
Wie geht es jetzt weiter – und was bedeutet das für Verbraucher und Entwickler?
Mit der Entscheidung des BGH ist klar: Das Bundeskartellamt darf Apple künftig besonders genau auf die Finger schauen. Die Feststellung nach § 19a Abs. 1 GWB ist nämlich nur der erste Schritt. Im zweiten Schritt – geregelt in § 19a Abs. 2 GWB – kann das Amt jetzt gezielt bestimmte Verhaltensweisen verbieten. Und genau das dürfte bald passieren.
Was wäre möglich? Das Gesetz erlaubt eine ganze Reihe von Eingriffen, wenn sich zeigt, dass Apple seine Marktmacht missbräuchlich nutzt. Beispiele aus § 19a Abs. 2 GWB:
- Selbstbevorzugung: Apple dürfte seine eigenen Dienste nicht mehr prominenter darstellen als die von Wettbewerber:innen.
- Zwangsverknüpfungen: Apple dürfte bestimmte Apps (z. B. Apple Music oder Apple Pay) nicht mehr automatisch vorinstallieren oder ihre Nutzung an andere Angebote koppeln.
- Datennutzung: Die Verarbeitung wettbewerbsrelevanter Daten aus verschiedenen Diensten könnte eingeschränkt werden – vor allem, wenn Apple daraus Marktvorteile zieht.
- Interoperabilität und Portabilität: Apple müsste gegebenenfalls Schnittstellen für Drittanbieter öffnen und Datentransfers erleichtern.
- Behinderung Dritter: Maßnahmen, die es App-Entwickler:innen schwer machen, eigene Angebote zu vermarkten, könnten untersagt werden.
Für Verbraucher:innen könnte das bedeuten: mehr Wahlfreiheit, weniger vorinstallierte Apps, bessere Vergleichbarkeit – und am Ende sogar günstigere Preise.
Für Entwickler:innen heißt das: mehr Fairness bei der Zulassung im App Store, bessere Chancen für alternative Bezahlmethoden und weniger Abhängigkeit vom Wohlwollen Apples.
Allerdings: Apple kann auch künftig Maßnahmen rechtfertigen – wenn sie „sachlich gerechtfertigt“ sind. Dann liegt die Beweislast aber beim Unternehmen. Und das Bundeskartellamt hat durch den BGH jetzt Rückenwind, hier konsequent durchzugreifen.
Spannend ist auch das Zusammenspiel mit dem Digital Markets Act (DMA) der EU. Seit März 2024 gilt Apple in Europa offiziell als „Gatekeeper“. Auch der DMA erlaubt Eingriffe – aber erfasst eher das Wie, nicht das Ob. § 19a GWB setzt schon beim Status an und ergänzt den DMA aus deutscher Sicht. Der BGH sagt ausdrücklich: Diese Doppelregelung ist zulässig und notwendig, solange keine inhaltlichen Widersprüche bestehen.
Was folgt daraus? Apple steht künftig unter doppelter Beobachtung – auf EU- und Bundesebene. Und andere Tech-Giganten wie Google, Meta oder Amazon dürften die Entscheidung mit großen Augen verfolgen. Denn sie könnten die Nächsten sein.
Fazit: Signal an die Tech-Giganten
Mit dem Beschluss des BGH ist klar: Deutschland meint es ernst mit der Kontrolle digitaler Marktmacht. Apple bleibt dauerhaft im Fokus des Bundeskartellamts – und das schon aufgrund seiner Struktur und Marktmacht, nicht erst bei konkreten Verstößen. Die Entscheidung markiert einen Wendepunkt im Umgang mit globalen Plattformkonzernen: Weg von reiner Reaktion, hin zu präventiver Aufsicht.
Für Apple bedeutet das: Weniger Freiraum bei der Gestaltung des App Stores, der Systemintegration und der Datennutzung. Für Verbraucher und Entwickler könnte das zu mehr Auswahl, faireren Bedingungen und neuen Chancen führen. Und für andere große Plattformen ist der Beschluss ein Warnsignal: Wer marktübergreifend agiert, muss mit strengerer Kontrolle rechnen – auf nationaler und europäischer Ebene.