In einer immer flexibler werdenden Arbeitswelt ist Vertrauensarbeitszeit ein Thema, das viele Unternehmen und Arbeitnehmer:innen beschäftigt. Gerade in Zeiten von Homeoffice und Remote Work stellt sich die Frage, wie Arbeitszeiten effizient und fair gestaltet werden können.
Vertrauensarbeitszeit scheint hier eine ideale Lösung zu sein: Beschäftigte haben die Freiheit, ihre Arbeitszeiten selbst zu gestalten, solange sie ihre Aufgaben erledigen. Doch wie funktioniert dieses neue Arbeitsmodell genau und was sagen die Gesetze und die Rechtsprechung dazu? In diesem Artikel erklären wir dir alles Wichtige rund um die Vertrauensarbeitszeit.
Das Wichtigste in Kürze
✅ Vertrauensarbeitszeit ermöglicht es Beschäftigten, ihre Arbeitszeiten grundsätzlich selbst zu bestimmen.
✅ Dieses Arbeitsmodell unterscheidet sich von Kernarbeitszeit und Gleitzeit durch den Fokus auf Ergebnisse statt Anwesenheit.
✅ Vorteile sind Flexibilität und erhöhte Motivation, während aber auch Nachteile wie Überstunden berücksichtigt werden müssen.
✅ Unternehmen haben eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – das belegen die Urteile des EuGH (2019) und BAG (2022) i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG.
Was ist Vertrauensarbeitszeit?
Vertrauensarbeitszeit ist ein Arbeitszeitmodell, bei dem Arbeitnehmer:innen ihre Arbeitszeiten weitgehend selbst bestimmen können. Im Gegensatz zu festen Arbeitszeiten oder Schichtarbeit gibt es keine starren Vorgaben, wann die Arbeit beginnen und enden muss. Das Ziel ist es, den Beschäftigten mehr Freiheit und Eigenverantwortung zu geben. Der Fokus liegt auf den Ergebnissen der Arbeit, nicht auf der Präsenzzeit im Büro.
Dieses Arbeitsmodell erfordert ein hohes Maß an Vertrauen zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen. In einer perfekten neuen Arbeitswelt organisieren sich die Teams größtenteils selbst, setzen ihre Prioritäten und stellen sicher, dass ihre Aufgaben termingerecht erledigt werden. Das erfordert jedoch eine Menge Disziplin, ein gutes Zeitmanagement und reibungslose Kommunikation.
Kernarbeitszeiten, Gleitzeit & Co.
Vertrauensarbeitszeit unterscheidet sich von der Gleitzeit, bei der es feste Kernzeiten gibt, innerhalb derer die Beschäftigten anwesend sein müssen (z. B. 10 bis 14 Uhr), darüber hinaus können sie ihre Arbeitszeit flexibel gestalten.
Daneben gibt es die klassische Kernarbeitszeit, bei der die gesamte Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten Zeitfensters liegen muss (z. B. 9 bis 17 Uhr). Hier ist wenig Flexibilität gegeben.
Bei der Vertrauensarbeitszeit hingegen zählt nur das Endergebnis und nicht, zu welchen Zeiten die Arbeit erledigt wird.
Was bedeutet Vertrauensarbeitszeit im Unternehmen?
Die Vertrauensarbeitszeit kann die Arbeits- und Unternehmenskultur in einem Unternehmen stark verändern. Ein Beispiel: In einem Softwareunternehmen arbeiten Beschäftigte oft projektbasiert und kommunizieren hauptsächlich über digitale Kanäle. Sie können selbst entscheiden, wann sie ihre Aufgaben erledigen, solange sie die Projektziele erreichen. Das führt zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit und mehr Produktivität, da die Beschäftigten ihre Arbeit an ihren persönlichen Rhythmus anpassen können.
Auch kreative Teams arbeiten oft außerhalb der üblichen Bürozeiten, um Ideen zu entwickeln oder Kundenaufträge zu bearbeiten. Die Flexibilität erlaubt es den Arbeitnehmer:innen, ihre Kreativität voll auszuschöpfen und gleichzeitig familiäre Verpflichtungen zu erfüllen. Das ist beispielsweise in vielen Werbeagenturen üblich.
Der Unterschied zu Kernarbeitszeiten oder Gleitzeit liegt auf der Hand: Bei Kernarbeitszeiten gibt es feste Arbeitszeiten, in denen die tatsächliche oder virtuelle Anwesenheit Pflicht ist. Gleitzeit bietet mehr Flexibilität, aber immer noch innerhalb bestimmter Grenzen.
Vertrauensarbeitszeit geht einen Schritt weiter und setzt ganz auf die Eigenverantwortung der Mitarbeiter:innen. Dies kann das Vertrauen zwischen Arbeitgeber:in und Arbeitnehmer:in stärken, erfordert aber klare Kommunikation und vor allem klare Ziele.
Vertrauensarbeitszeit: Vor- und Nachteile
Jedes Arbeitsmodell bringt eine Vielzahl von Vor- und Nachteilen mit sich. Die Entscheidung, auf Vertrauen und nicht auf Präsenz zu setzen, muss jedes Unternehmen für sich selbst treffen. Jedoch ist es wichtig, sich vorab mit den Vor- und Nachteilen vertraut zu machen. Deshalb führen wir einige Beispiele auf.
Vorteile von Vertrauensarbeitszeit
- Flexibilität: Mitarbeiter:innen können ihre Arbeitszeit an ihre individuellen Bedürfnisse anpassen, was zu einer besseren Work-Life-Balance führt.
- Motivation: Das Vertrauen in die Beschäftigten fördert deren Eigenverantwortung und Motivation.
- Effizienz: Ohne feste Arbeitszeiten können Beschäftigte zu den Zeiten arbeiten, in denen sie am produktivsten sind.
Nachteile von Vertrauensarbeitszeit
- Selbstausbeutung: Ohne klare Grenzen besteht die Gefahr, dass Arbeitnehmer:innen mehr arbeiten als nötig (Stichwort: Überstunden).
- Kommunikation: Flexible Arbeitszeiten können die Zusammenarbeit im Team erschweren, wenn gemeinsame Meetings etwa nicht möglich sind.
- Überwachung: Trotz Vertrauen kann es für Arbeitgeber:innen schwierig sein, den Überblick über die tatsächliche Arbeitszeit und die jeweilige Leistung zu behalten.
Für Unternehmen und Arbeitnehmer:innen ist es wichtig, diese Vor- und Nachteile abzuwägen und eine Lösung zu finden, die für beide Seiten funktioniert.
Arbeitszeiterfassung und Vertrauensarbeitszeit – wie passt das zusammen?
Vertrauensarbeitszeit und die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung scheinen auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen. Dennoch müssen auch bei Vertrauensarbeitszeit bestimmte rechtliche Vorgaben beachtet werden. Viele dieser Regelungen finden sich im Arbeitszeitgesetz (ArbZG), das darauf abzielt, eine Überlastung von Beschäftigten zu verhindern.
Ruhezeiten
Nach § 4 ArbZG musst du bestimmte Ruhepausen einhalten – auch im Homeoffice und auch wenn Vertrauensarbeitszeit vereinbart ist:
⏰ Arbeitszeit von mehr als 6 bis 9 Stunden: 30 Minuten Pause
⏰ Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden: 45 Minuten Pause
⏰ Die Pausen können in 15-Minuten-Abschnitte aufgeteilt werden
⏰ Du darfst nicht länger als 6 Stunden ohne Pause arbeiten
Ist Zeiterfassung Pflicht bei Vertrauensarbeitszeit?
Ja, die Zeiterfassung ist auch bei Vertrauensarbeitszeit Pflicht. Dies wurde durch das sogenannte Stechuhr-Urteil (EuGH, 14.05.2019 – C-55/18) des Europäischen Gerichtshofs auch bestätigt. Laut dem Urteil sind Arbeitgeber:innen verpflichtet, Systeme zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer:innen einzuführen. Dies gilt auch für flexible Arbeitszeitmodelle wie die Vertrauensarbeitszeit oder das Homeoffice.
Denn anders können Unternehmen nicht verlässlich sicherstellen, dass die vorgeschriebenen Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten eingehalten werden. Die Zeiterfassung dient also nicht der Kontrolle auf Arbeitgeberseite, sondern dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer:innen.
Das Stechuhr-Urteil hatte wesentliche Aussagekraft für die Arbeitszeiterfassung in Unternehmen – auch in Deutschland. Es basiert auf der Auslegung der EU-Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Vertrauensarbeitszeit und das Urteil vom Bundesarbeitsgericht
Der EuGH entschied in seinem Urteil vom 14. Mai 2019 („Stechuhr-Urteil“), dass Arbeitgeber:innen die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch erfassen müssen. Dies soll sicherstellen, dass die gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen eingehalten und Überstunden korrekt erfasst und vergütet werden.
Am 13. September 2022 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass Arbeitgeber:innen gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) verpflichtet sind, den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer:innen zu erfassen.
Diese Rechtsauffassung ist also nicht neu, sondern wiederholt nur das, was bereits im Gesetz steht: dass Unternehmen “für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen” haben, sprich ein System zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit einführen müssen. Dies soll den Schutz von Beschäftigten und die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gewährleisten.
Ist die Vertrauensarbeitszeit abgeschafft?
Viele dachten, die Vertrauensarbeitszeit sei damit abgeschafft, doch dem ist nicht so. Die Urteile des EuGH und des BAG haben lediglich klargestellt, dass auch bei Vertrauensarbeitszeit die gesetzlichen Anforderungen zur Arbeitszeiterfassung erfüllt werden müssen. Die Vertrauensarbeitszeit bleibt bestehen, muss aber durch ein geeignetes System zur Arbeitszeiterfassung ergänzt werden.
Kann man in der Vertrauensarbeitszeit Überstunden machen?
Auch in der Vertrauensarbeitszeit können Überstunden anfallen. Diese müssen genauso erfasst und vergütet werden wie in anderen Arbeitszeitmodellen. Wenn du deine vertraglich geschuldete Arbeitszeit überschreitest, handelt es sich grundsätzlich um Mehrarbeit, die nur unter bestimmten Voraussetzungen von Arbeitgeberseite gefordert werden kann.
Wenn du die Überstunden freiwillig machst, also nicht im Voraus dazu aufgefordert wurdest und dies nicht besprochen wurde, ist das grundsätzlich ein Problem. Denn Arbeitgeber:innen sind nicht dazu verpflichtet, dir Mehrarbeit auszugleichen, wenn sie nichts davon wissen.
Überstunden abgegolten?
Wusstest du, dass die Klausel “Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten” rechtlich unwirksam ist? Überstunden müssen grundsätzlich ausgeglichen werden, wenn sie die vereinbarte Arbeitszeit erheblich überschreiten.
Wichtig ist deshalb, dass klare Regelungen bestehen, wie Überstunden dokumentiert und ausgeglichen werden. Überstunden müssen genau erfasst werden, um sicherzustellen, dass sie korrekt vergütet oder durch Freizeit ausgeglichen werden. Je nach Vereinbarung werden Überstunden finanziell vergütet oder durch zusätzliche freie Tage ausgeglichen.
Unternehmen können von den gesetzlichen Bestimmungen abweichen, wenn dies vertraglich geregelt ist (z. B. Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung). Wenn du unsicher bist, wende dich für eine verbindliche Auskunft an eine Anwältin oder einen Anwalt im Arbeitsrecht. Passende Ansprechpersonen findest du in unserer Kanzleisuche.
Fazit
Die Vertrauensarbeitszeit bietet viele Vorteile, insbesondere durch die hohe Flexibilität und die Möglichkeit zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Dennoch müssen Unternehmen sicherstellen, dass die Arbeitszeit korrekt erfasst wird, um gesetzliche Vorgaben zu erfüllen und Überstunden fair zu behandeln. Klare Regelungen und eine offene Kommunikation sind hierbei entscheidend.