Ein netter Gefallen für den Nachbarn – einmal kurz mit dem Hund Gassi gehen. Für viele selbstverständlich. Doch was, wenn dabei ein Unfall passiert? Wenn ein Radfahrer stürzt, weil der Hund plötzlich die Fahrbahn kreuzt – muss der freiwillige Hundeausführer dann zahlen?
Genau das musste das Landgericht Koblenz entscheiden. Ein Mann hatte aus reiner Gefälligkeit den Hund seines Nachbarn ausgeführt. Der Hund lief angeleint, doch der Radfahrer stürzte bei der Kollision – und forderte Schadenersatz. Das Gericht entschied: Wer nur aus Gefälligkeit mit einem Hund spazieren geht, haftet nicht automatisch. Weder als Tierhalter nach § 833 BGB noch als Tieraufseher nach § 834 BGB – zumindest dann nicht, wenn keine vertragliche Pflicht übernommen wurde und kein schuldhaftes Verhalten vorliegt (Beschluss vom 04.03.2025, Az. 13 S 45/24).
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Was ist passiert? Der Unfall zwischen Fahrrad und Hund
Am 13. Dezember 2020 führte der Beklagte den Hund seines Nachbarn Gassi – als reinen Freundschaftsdienst. Der Hund war dabei ordnungsgemäß an einer Leine mit weniger als zwei Metern Länge geführt. Auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg kam es jedoch zum Unfall: Der Hund lief plötzlich quer über den Weg, direkt in die Fahrspur eines herannahenden Radfahrers.
Der Kläger – also der Radfahrer – konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, stürzte über das Tier und verletzte sich. Außerdem wurde sein Fahrrad beschädigt. Er forderte daraufhin vom Hundeausführer Schadensersatz sowie Freistellung von seinen Anwaltskosten. Seine Begründung: Der Beklagte habe grob fahrlässig gehandelt, weil er den Hund nicht ausreichend kurz geführt habe. Außerdem sei er faktisch wie ein Tierhalter zu behandeln – oder zumindest als Tieraufseher, der seine Pflichten verletzt habe.
Das Amtsgericht wies die Klage jedoch bereits ab – und das Landgericht Koblenz bestätigte diese Entscheidung nun in der Berufung. Die Richter sahen keine Haftung des Beklagten, weder aus Tierhalterhaftung, noch aus vertraglicher Pflichtverletzung oder Deliktshaftung nach § 823 Abs. 1 BGB.
Denn: Der Beklagte habe den Hund nur aus Gefälligkeit geführt, nicht dauerhaft und nicht im eigenen Interesse. Zudem sei die Leine völlig üblich gewesen, der Weg für beide Verkehrsarten freigegeben und das Verhalten des Radfahrers selbst nicht ohne weiteres verkehrsgerecht – denn dieser hatte sich von hinten genähert, kein Klingelzeichen abgegeben und war relativ schnell unterwegs.
Wann haftet ein Hundeausführer überhaupt?
Nur weil jemand mit einem Hund unterwegs ist, heißt das noch lange nicht, dass er für dessen Verhalten haftet. Entscheidend ist, in welcher rechtlichen Rolle der Mensch an der Leine steht – und ob er überhaupt eine Pflicht übernommen hat. Das Gesetz unterscheidet dabei klar zwischen Tierhalter, Tieraufseher und bloßer Gefälligkeit.
Tierhalter haften grundsätzlich – aber nur bei eigener Haltereigenschaft
Die Tierhalterhaftung ist in § 833 BGB geregelt. Sie greift immer dann, wenn jemand ein Tier auf eigene Rechnung hält – also für Versorgung, Unterhalt und Risiken aufkommt. Tierhalter haften dabei verschuldensunabhängig für die sogenannte „typische Tiergefahr“. Im Fall vor dem LG Koblenz war das aber ausgeschlossen: Der Beklagte war nicht Halter des Hundes – das war sein Nachbar.
Haftung bei Pflichtverletzung nur mit vertraglicher Grundlage
Wer regelmäßig auf einen Hund aufpasst oder ihn gegen Bezahlung ausführt, kann als Tieraufseher im Sinne des § 834 BGB gelten. Hier haftet man nur bei Verschulden, also wenn man Sorgfaltspflichten verletzt. Doch auch das lehnte das Gericht ab: Der Beklagte hatte keinen Vertrag, keine Bezahlung erhalten – und übernahm die Aufsicht nur gelegentlich und unentgeltlich.
Gefälligkeitsverhältnis: Keine Haftung bei gelegentlichem Gassigehen
Das Gericht stellte klar: Der Beklagte war nicht mehr als ein hilfsbereiter Nachbar. Das sogenannte Gefälligkeitsverhältnis schützt in solchen Fällen vor einer Haftung – solange keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Ein bloßes „Aushelfen“ begründet keine rechtliche Pflicht wie bei Tierhaltern oder Hundesittern.
Eine Haftung käme nur in Betracht, wenn der Beklagte schuldhaft gehandelt hätte – also zum Beispiel die Leine fahrlässig zu lang gewesen wäre oder er nicht aufgepasst hätte. Doch auch das verneinte das Gericht ausdrücklich (mehr dazu im nächsten Abschnitt).
Warum hat das Gericht die Klage abgewiesen?
Das Landgericht Koblenz bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts und stellte klar: Eine Haftung des Hundeausführers kommt in diesem Fall weder aus rechtlicher Verantwortung noch aus schuldhaftem Verhalten in Betracht.
Keine Tierhalter-Eigenschaft des Beklagten
Zunächst prüfte das Gericht, ob der Beklagte überhaupt Tierhalter im Sinne des § 833 BGB war – das hätte eine sogenannte Gefährdungshaftung ausgelöst. Doch der Hund gehörte dem Nachbarn, nicht dem Beklagten. Auch regelmäßiges Gassigehen führt nicht automatisch zur Haltereigenschaft. Entscheidend ist, wer das Tier auf eigene Rechnung hält – und das war hier nicht der Fall.
Keine Tieraufseherhaftung ohne Vertrag
Auch eine Haftung als Tieraufseher nach § 834 BGB schloss das Gericht aus. Der Beklagte hatte keine vertragliche Pflicht übernommen, den Hund zu beaufsichtigen. Es handelte sich eindeutig um eine Gefälligkeit, also um ein freiwilliges, unentgeltliches Aushelfen – ohne Rechtsbindungswillen. Damit fehlt die Grundlage für eine Haftung als Tieraufseher.
Keine Pflichtverletzung – Leine war angemessen
Der Kläger warf dem Beklagten vor, die Leine sei zu lang gewesen. Doch das Gericht stellte fest: Die Leine war kürzer als zwei Meter und damit völlig üblich. Es handelte sich nicht um eine Schlepp- oder Flexileine, sondern um eine normale Führleine. Der Hund war angeleint, und das Verhalten des Beklagten entsprach den üblichen Anforderungen an das Gassigehen.
Radfahrer verhielt sich nicht verkehrsgerecht
Ein weiterer Punkt: Der Radfahrer hatte sich von hinten und mit erhöhter Geschwindigkeit genähert – ohne sich bemerkbar zu machen. Das Gericht stellte fest, dass Radfahrer auf gemeinsamen Wegen besondere Rücksicht auf Fußgänger nehmen müssen. Dazu gehört auch, durch ein Klingelzeichen auf sich aufmerksam zu machen. All das war nicht geschehen. Damit war die Situation für den Beklagten nicht vorhersehbar.
Keine Haftung aus § 823 BGB
Auch eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB schied aus. Der Beklagte hatte keine Sorgfaltspflicht verletzt und auch nicht fahrlässig gehandelt. Der Unfall sei vielmehr auf das allgemeine Risiko im Straßenverkehr und die typische Tiergefahr zurückzuführen – für die nur der Halter haftet.
Was bedeutet das Urteil für Tierhalter?
Das Urteil des Landgerichts Koblenz betrifft nicht nur Juristen, sondern ganz alltägliche Situationen. Wer für Freunde, Nachbarn oder Verwandte gelegentlich mit dem Hund Gassi geht, fragt sich oft: Was ist, wenn etwas passiert? Die Antwort des Gerichts ist beruhigend – aber auch mit Vorsicht zu genießen.
Gelegentliches Gassigehen ist rechtlich meist unproblematisch
Wenn du nur gelegentlich und unentgeltlich mit dem Hund eines anderen spazieren gehst, befindest du dich rechtlich im sogenannten Gefälligkeitsverhältnis. Du bist dann weder Tierhalter noch Tieraufseher im Sinne des Gesetzes. Das bedeutet: Du haftest nicht automatisch, wenn es zu einem Unfall kommt – solange du dich vernünftig verhältst.
Aus Gefälligkeit kann schnell Verantwortung werden
Anders kann es aussehen, wenn du regelmäßig den Hund betreust, dich um Futter, Tierarzt oder Erziehung kümmerst – oder gar eine Bezahlung erhältst. Dann kann aus der Gefälligkeit schnell eine rechtliche Verpflichtung entstehen. Wer sich dauerhaft wie ein Halter oder professioneller Betreuer verhält, kann auch wie einer behandelt werden – mit allen Haftungsfolgen.
Vorsicht bei grober Fahrlässigkeit
Auch wenn du „nur aus Gefälligkeit“ handelst, schützt dich das nicht bei groben Fehlern. Führst du den Hund z. B. an einer überlangen Flexileine in der Fußgängerzone oder lässt ihn ohne Leine auf der Straße laufen, kann dir ein Mitverschulden oder sogar alleinige Haftung drohen. Es kommt also immer auf den konkreten Einzelfall an.
Für Hundehalter bleibt das Risiko bestehen
Wer sein Tier anderen überlässt, bleibt in der Regel weiterhin haftbar – jedenfalls als Tierhalter nach § 833 BGB. Auch wenn ein Freund mit dem Hund unterwegs ist, kann sich die Halterhaftung verwirklichen. Deshalb ist eine Tierhalterhaftpflichtversicherung für jeden Hundehalter ein Muss – sie springt im Schadensfall ein, unabhängig davon, wer mit dem Tier unterwegs war.
Auch bei freundschaftlichen Hilfeleistungen lohnt es sich, kurz zu klären: Wer geht mit dem Hund? Wo darf er hin? Wie wird er geführt? So lassen sich Missverständnisse vermeiden – und im Zweifel auch juristische Streitigkeiten.